AG Wir haben genug: Die Kleiderfrage noch tragbar? – Produktionsweise und Kaufverhalten

Wenn es vor nicht allzu langer Zeit für die Modebranche galt, in jedem Frühjahr und Herbst eine neue Kollektion auf den Markt zu bringen, so ist es heute bei manchen der großen Konzerne jede Woche so weit. Jede*r Europäer*in kauft durchschnittlich 80 neue Kleidungsstücke pro Jahr – und wirft mehr als die Hälfte dieser Menge weg. (dazu: Femnet e.V. und Forum fairer Handel) Wisst ihr noch wieviele Teile ihr im Kleiderschrank habt?

Kleider machen Leute

Warum meinen wir, einen so vollen Kleiderschrank zu brauchen? Diese Branche hat viele von uns peu a peu dazu gebracht, in immer kürzeren Abständen Neues zu kaufen, wovon nicht einmal wirklich alles getragen wird. Mit immer neuen Tricks schraubt sie den Verbrauch höher – und damit ihre Einnahmen. Sollten wir uns nicht hier und da mal fragen, ob wir uns derart manipulieren lassen wollen? Funktionieren wir in Wirklichkeit nicht zu sehr nach den Vorgaben der Kleidungsindustrie?

Faktoren sind es vor allem, die die Modebranche nutzt:

  • Wir kennen es: Das neue T-Shirt ist nach 2mal waschen lappig und die ersten Nähte trennen sich auf. Die Socken haben nach 2mal tragen schon Löcher. Die Schuhe fallen nach einer Saison auseinander… Alles wird auf kurze Haltbarkeit hin produziert. (siehe Blogartikel „Kaufen, Kaufen, Kaufen“)
  • Wenn das nicht hilft, dann sollen wir uns schlecht fühlen, wenn wir nicht absolut up to date sind: Die richtige Hosenlänge, der angesagte Halsausschnitt, die Trendfarbe… sind maßgeblich für das “feeling all right”. Ein paar wenige Modemacher (und noch weniger -innen) schreiben uns mit ihren Vorstellungen vor, ob wir akzeptabel sind.
  • Längst hat die Industrie die Kinder und Jugendlichen entdeckt. Die sind den Manipulationen noch weniger gewachsen. In immer jüngerem Alter werden Teenager dazu gebracht, sich – und damit auch ihre Eltern – unter Druck setzen zu lassen. Für Mädchen heißt das zudem, sich in immer früherem Alter sexualisiert präsentieren zu sollen, um dem männlichen Blick zu gefallen, was sie selbst in ihrer altersbedingten Arglosigkeit nicht ahnen – und setzen sich so womöglich (männlichen) Gefahren aus.
  • Der Onlinehandel treibt die produzierte Textilien-Masse nocheinmal krass in die Höhe. Das einfache Bestellen von mehreren Teilen zum Aussuchen und einfach Zurückschicken, was nicht gefällt, bedeutet in den Versandzentren oft, dass nie Getragenes sofort weggeworfen wird, weil einsortieren viel zu lange dauert und bezahlt werden müsste. Die Irrationalitäten des Kapitalismus nehmen laufend an Fahrt auf.

Leute machen Kleider

Dem aufgeblähten Kleiderrummel in unserer westlichen Welt gegenüber stehen menschenverachtende meist sklavenähnliche Bedingungen, unter denen diese Schnäppchen produziert werden. Unzählige Menschen – meist Frauen und auch Kinder – in Billiglohnländern arbeiten tagaus tagein unter Leistungsdruck 10Std oder mehr, auch an den Wochenenden (laut Internationale Arbeitsorganisation ILO), damit wir allzeit topmodisch daherkommen. Nicht selten müssen sie in den Nähereien von ihren Arbeitgebern vorgeschriebene Windeln tragen, um noch den Gang zur Toilette einzusparen. Gibt es zu wenig Aufträge, bekommen sie keinen Lohn, der sowieso oft nicht zum Leben reicht. Wenn es schlimm kommt, bezahlen sie ihren Job mit dem Leben, weil wegen fehlendem Brandschutz das Fabrikgebäude abbrennt, die Türen zur Flucht dazu noch abgeschlossen sind oder weil Teile des Gebäudes einstürzen, wenn Bauvorschriften nicht eingehalten werden (z.B. Ali Enterprises in Pakistan 2012, Rana Plata in Bangladesch 2013). Wer denkt da bei sich daran, wie sein/ihr neu erstandenes T-Shirt entstanden ist?

Die Ökologiefrage

Nicht nur in Fabriken von Modeartikeln zahlt sich unser Verhalten schlecht aus. Schon gleich am Anfang der Produktion zeigt sich, welche Opfer es noch kostet. Die weltweite Bekleidungsindustrie gehört zu den größten Umweltschädigern überhaupt.

Beispiel Baumwolle: Ohne sie lässt sich die Mode kaum vorstellen. Der Wasserverbrauch beim Anbau ist enorm hoch. Oft liegen die ausgedehnten Felder aber gerade in Gebieten, wo es wenig Wasser gibt. Regierungen haben aus wirtschaftlichem Interesse sogar Staudämme bauen lassen, um das Wasser vor Ort zu halten, was dann im Rest der Ländereien für Menschen und Landwirtschaft fehlt (z.B. Türkei, Indien). Das wird – das ist abzusehen – im fortschreitenden Klimawandel noch ein sehr ernsthaftes Problem werden. Die industriell betriebene Landwirtschaft arbeitet zudem mit einer Menge an hochgiftigen Pestiziden und chemischen Düngemitteln, was Boden, Wasser und Nahrungsmittel zusätzlich schwer belastet. Auf ein Kilo fertiger T-Shirts entfallen ein Kilo umweltschädlicher Chemikalien” (1)

Auch Färben ist eine Arbeit mit schädlichen Chemikalien. Diese vergiften die Flüsse, rufen bei den Arbeiter*innen oftmals üble Hautreizungen hervor – und eurer Haut tut es auch nicht gut.
Beispiel Schafwolle: Nicht weniger irrsinnig ist die “Poduktion” von Wolle. Hierzulande werden skandalöserweise große Mengen an Schafwolle einfach auf den Feldern untergegraben zur Düngung. Verarbeitung zu Strickwaren lohnt nicht. Kriegen wir alles billiger von anderswo her!
Beispiel Hanffasern: Zu den nachwachsenden Rohstoffen, die regional erzeugt werden könnten, zählt auch Hanf. Kleidungsindustrie und Politik schrecken davor zurück, weil Hanf durch Gewinnung von Kanabis einen negativen Ruf hat. Und weil seine Fasern sehr lange haltbar sind: Das verspricht der Industrie wenig Gewinne.

Die meisten Stücke bestehen aus Mischgewebe. Schon beim Waschen lösen sich u.a. kleinste Kunststoffpartikel und gelangen ins Grundwasser. Das Wegwerfen von Kleidung im großen Stil ist ein zusätzliches Problem. Recycling ist in den wenigsten Fällen möglich. Die verschiedenen Anteile kriegen wir da nicht wieder auseinander. Also wird in großem Maße geschreddert und verbrannt auf Müllhalden im ärmeren Ausland, macht die Atemluft der Umgebung unerträglich oder schwimmt dann mit vielen anderen Kunsttoffpartikeln in unseren Weltmeeren.

Ein weiteres großes Problem ist der globale Handel und seine Lieferketten. Jeder einzelne Schritt für die Herstellung von nur einem Kleidungsstück findet anderswo statt: der Anbau, Spinnen, Weben, Stricken, Färben, Zuschneiden der Stoffe, Garn zum Nähen, das Zusammennähen, Einnähen der Markenetiketten, Verpacken… Alles in weit auseinanderliegenden Weltgegenden auf unserem Globus. Dazwischen liegen lange Strecken mit Kontainerschiffen, LKWs, Flugzeugen, Bahnen – immer wieder hin und her. Dorthin, wo es ein paar Cent billiger ist. Denn es geht im kapitalistischen Welthandel nur darum, möglichst billig herzustellen. Dabei wird eine Unmenge an CO2 in die Luft abgegeben, was das Klima aufheizt, Straßen verstopft, das Atmen schwer macht. Eine Produktion vor Ort wäre uns absolut zuträglicher. Dass das geht, ist bewiesen. Es war jahrelang das Normale. Muss es immer ein bißchen mehr sein? Gesunde Luft und Wasser ist gewiss wichtiger für uns als noch ein Klamöttchen und noch eins und noch eins und noch.

Der ökologische Aspekt allein sollte ein ausreichender Grund sein, weniger an Material zu verbrauchen.

Unsere industrielle Produktionsweise ist in vieler Hinsicht schädlich und gefährlich,
das Kaufverhalten nicht weniger!

Wir können wir als Verbraucher tun?

Inzwischen gibt es zahlreiche Ideen und Initiativen – ganz privat, durch kirchliche Einrichtungen oder NGOs –, die dagegen steuern.

  • Geht shoppen, wenn sich herausstellt, dass ihr wirklich etwas braucht.
  • Wiederverwendung ist das Zauberwort der Zukunft. Es gibt zahlreiche Secondhand-Läden, die kaum Gebrauchtes anbieten, Schaut euch mal um, wo in eurer Nähe welche sind. Und wie wär’s, wenn ihr zuerst da mal reinschaut, bevor ihr das nächste Kaufhaus aufsucht?
  • Kinderkleider-Tausch-Märkte sind eine Gelegenheit zu Billigstpreisen, schöne Teile zu erwerben, aus denen Kinder nach kurzer Zeit herausgewachsen sind. Auch für Erwachsene gibt’s immer wieder Tausch-Märkte. Und Stöbern auf Open-Air-Märkten macht richtig Spaß.
  • Einfallsreiche Schneidereien verwerten gebrauchte Kleidung und hübschen sie auf. Gebrauchte Fasern werden von einigen Hersteller*innen für neue Stoffe verwendet. Jede*r kann auch selbst versuchen, etwas Gebrauchtes neu aufzuhübschen. Oder ihr strickt euch mal wieder selbst ein Unikat.
  • Das Internet ist eine Möglichkeit, einmal Gekauftes aber nie oder kaum Benutztes anzubieten oder zu bekommen.
  • Ihr könnt bei den letzten verbliebenen einheimischen Hersteller*innen in eurer Umgebung einkaufen (googeln hilft).
    Weltläden bieten außergewöhnliche Stücke fair und gesund an und unterstützen die Hersteller*innen im jeweiligen Land.
  • Es gibt zahlreiche zertifizierte Labels, die helfen, ökologischer und fairer einzukaufen.
    (z.B. https://www.gruenemode.org und https://www.forum-fairer-handel.de/)

Und die Industrie? Und die Politik?

Nachdem viel über die Nachweispflicht über die ganze Lieferkette hinweg geredet wurde, EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament ihre Gesetz-Entwürfe vorgelegt haben, gehen diese Vorschläge nun an die einzelnen Mitgliedstaaten. Eine neue Runde an Verhandlungen ist eingeleutet. Danach erst wird die endgültige Fassung des Gesetzes beschlossen. Wird – wie so oft – die Sache endlos vor sich hergeschoben? Am Ende kommt in einem Kompromiss eine verwässerte Version heraus, in der doch nicht die ganze Lieferkette nachgewiesen muss und es zahlreiche Ausnahmen gibt? Das würde Tür und Tor öffnen für alle möglichen Schleichwege der Industrie. Auch in Deutschland würde dies dann gelten.
Dazu: https://www.verdi.de/themen/internationales/initiative-lieferkettengesetz.

Die Politik kann faire internationale Handelsverträge abschließen, die ausbeuterische Arbeitsverhältnisse nicht erlauben und ökologische Standarts einhalten. Verbindliche Labels für die Industrie könnten uns Verbraucher*innen helfen, weniger schädlich einzukaufen. Es sollte zudem selbstverständlich sein, dass unser Müll auch in unserem Land bleibt. Da braucht es strikte Verbote und Kontrollen.

Unser Druck ist unbequem. Die Konzerne schauen genau auf ihr Image. Da reagieren sie empfindlich. Um die Bekleidungskonzerne zum Umsteuern zu bewegen, könnt ihr in den Läden nachfragen, woher die Teile kommen. Konzernketten und deren Ware aus Billiglohnländern wie z.B. Asien und aus osteuropäische Staaten könnt ihr meiden (z.B. H&M, Zara, Primark, KiK). Fragt nach Kleidern ohne Kunststofffasern. Wenn ihr ganz mutig seid, könnt ihr das Verkaufspersonal bitten, den Firmen-Einkäufern zu sagen, dass ihr gesunde und faire Kleidung haben wollt. Das ist nicht peinlich! Aber cool.

Macht mit, bei Boykottaktionen, beim Anprangern der Läden, die in Billiglohnländern herstellen lassen.
Gebt nicht nach! Gebt nicht auf! Ohne Druck von uns Wähler*innen und Käufer*innen wird leider nichts geschehen.

Und letztendlich gilt: In welcher Welt wollen wir leben?
Eine Welt, in der wir uns nicht gegenseitig nach unseren Klamotten bewerten, ist schöner, gesünder – und möglich. Fangt an damit!

 

Tipp: Derzeit gibt’s eine Fotoausstellung über Kleidung, Verkleidung, Entkleidung, Effekte: „Anti-Fashion” in der Staatsgalerie Stuttgart, noch bis 10.September.

 

Was ist eure Meinung?

  • Was meint ihr, könnt ihr auf manches Teil verzichten? Auf wie viel? Beobachtet euch doch mal selbst, wie viel ihr einspart.
  • Habt ihr Ideen, was man noch tun kann, um den Kleider-Müll zu reduzieren?
  • Teilt doch mit uns, was ihr schon getan habt. Am besten über unsere-Kommentar-Box

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!