AG Wir haben genug: Freihandel – Eine Falle für (fast) Alle?

Wer gewinnt – wer verliert dabei?

Ärmere Staaten sind zweifelsohne weit mehr betroffen vom „globalisierten Freihandel“. Billige Kredite wurden ihnen versprochen, doch die verteuerten sich zusehends. Bekommen haben sie eine Schuldenfalle und oftmals dazu aufdiktierte Freihandelsabkommen. Der „Freihandel“ hat ihnen weniger „Frei“heit gebracht. In diese Falle sind sie erst durch die WTO, den IWF, die Weltbank, später durch die Europäische Zentralbank und die Rankingagenturen gebracht worden, mussten auf staatlicher Ebene seitdem viele ihrer wenigen Infrastruktureinrichtungen verkaufen an Investoren, die Verwertung ihrer Bodenschätze betreiben große westliche Konzerne, die heimische Industrie kann sich nicht entwickeln wegen der starken Konkurrenz der großen Industriestaaten (dazu Blogartikel). Auch in das tägliche Leben der Menschen in den armen Ländern greifen die Bedingungen direkt ein, die der Freihandel diktiert, wenn man erst ein solches Abkommen unterzeichnet hat. Die Menschen dort hatten nie ein einfaches Leben, es gab Hungersnöte, Krankheiten und Naturkatastrophen. 2015 setzten sich die UN daher zum 1. Nachhaltigkeitsziel, bis 2030 die Armut zu halbieren (sog. „Goals“ od. SDG). Das haben sie bisher (laut Zwischenstandsbericht) – wie leider viele ausgerufenen Ziele – nicht eingehalten. Den Menschen ging es oft besser, als sie ihre Böden noch selbst bewirtschaften konnten, Zuverdienste auf den heimischen Märkten erwirtschaften konnten oder in kleinen Handwerksbetrieben unter menschenwürdigeren Bedingungen arbeiteten als in den Fabriken, die für westliche Firmen produzieren (Dazu Blogartikel). Der Hunger auf der Welt hat sich nicht reduziert, trotz vieler Hilfsmaßnahmen der westlichen Staaten. Naturkatastrophen treffen öfter, größer und verheerender ein, befeuert durch den Klimawandel, der ausgelöst wurde – und weiter wird – durch das geltende Weltwirtschaftssystem mit der Gier nach immer größeren Gewinnen. Die großen Versprechen, der durch den weltweiten Freihandel in Aussicht gestellt wurden – von Politikern der reichen Staaten erfolgreich beworben und erzwungen – haben sich nicht bewahrheitet. Solange man in den westlichen Industriestaaten mit dem geltenden Weltwirtschaftssystem vor allem die eigenen Gewinne im Sinn hat, unterdrückt man gleichzeitig die Kräfte dieser Länder, sich aus dieser Lage selbst zu befreien, hält sie dagegen noch immer erfolgreich in einem kolonialen, abhängigen Status.

Für die reichen Staaten: ein Erwachen mit Schrecken

Auch für die Industriestaaten sieht es bei genauerem Hinsehen und entsprechenden Erfahrungen schlecht aus. Was haben auch sie da unterschrieben? Die Verträge enthalten eine Unzahl von in den Einzelheiten vorerst nicht einschätzbaren Folgen. Was bisher bekannt wurde, ist vor allem:

  • Öffentliche Aufträge müssen weltweit öffentlich ausgeschrieben und dann an den billigsten Anbieter vergeben werden (Meistbegünstigungsklausel). Kein Wirtschaftsteilnehmer darf gegenüber anderen einen Nachteil im Wettbewerb haben. Seither dürfen Qualität, etablierte Standards u. eingeführte Industrienormen keine Rolle mehr spielen. Wir alle merken, dass Straßen repariert, Kabel verlegt, Städte gereinigt werden – von ausländischen Kolonnen und Firmen. Bahnstrecken und Autobahnabschnitte werden ganz übernommen von Firmen aus dem Ausland, das Beschaffungswesen von Kommunen, Ländern, Staat (Berufskleidung, Putz- u. Hygieneartikel, Software, IT-Dienstleistungen) werden aus dem Ausland geliefert. Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die Qualität nicht stimmt, wenn laufend Reparaturen anfallen? Wenn dadurch weitere Kosten entstehen? Manche Kommunen fordern inzwischen Qualitätsstandards bei der Vergabe einzubeziehen.

  • Nicht mehr zurückgenommen werden können Liefer- u. Dienstleistungsrechte, wenn die nationalen Grenzen für einen bestimmten Wirtschaftszweig einmal geöffnet worden sind. Der Status Quo bleibt erhalten (Sillhalteklausel). Die sog. „Privatisierungen“, Immobilien, Infrastruktur, Geschäfte, die vorher öffentliche Einrichtungen waren (z.B. Rathäuser, Wasserwirtschaft, Bahnen, Postwesen, Telekommunikation), nun von Konzernen betrieben, kosten mehr, sind unzuverlässiger, für Reparaturen unerreichbar und haben eine große Unübersichtlichkeit erbracht. Was man auch zu den Privatisierungen rechnen muss, ist die „Segnung“ der Ausweitung des technischen Patentrechts auf Forschungsergebnisse und einst gemeinschaftliches Wissen, Kenntnisse der Völker vor allem über die Natur. Seit Anfang der 2000er Jahre ist es möglich, dem Ersten, der ein Patent auf sein „geistiges Eigentum“ eintragen lässt, dies zu besitzen (über eine Schutzfrist bis zu 20 Jahren – mit kleinen Veränderungen kann man diese verlängern). Das hat uns Bürgern z. B. überteuerte Medikamente eingebracht und die Menschen in den Entwicklungsländern können sich diese Medikamente gar nicht erst leisten (z.B. AIDS, Corona). Landwirte hier wie dort zwingt dies in langfristige Verträge über Saatgut, Düngemittel, Insekten- u. Unkrautvertilger… und bereichert große Chemie-Konzerne (z.B. Bayer, BASF).

  • Der Verzicht auf Schutz- oder Begünstigungsmaßnahmen einzelner Staaten, führt dazu, dass
    A) für alle „Anbieter“ der Welt gilt, auf diese Möglichkeiten zu verzichten oder dass
    B) dieselben Zuschüsse an alle Firmen der Welt bezahlt werden müssen wie für einheimische Produktionen.

    Wir können das z. B. in der Filmindustrie sehen, die von den großen amerikanischen Produktions- u. Verleihfirmen dominiert wird. Das macht es den europäischen und Film-Produzenten aus ärmeren Ländern schwer zu „gleichen Bedingungen“, also ohne Förderung (in Deutschland bisher bis 80 %), zu produzieren und an internationalen Wettbewerben und Festivals teilzunehmen. Eine einfache Wahrheit: Gleiche Bedingungen in der Behandlung machen nicht gleich, sie sind ungerecht gegenüber Marktteilnehmern, die schwierigere Bedingungen haben, sie verhindern Gleichheit.

  • Das Vorsorgeprinzip darf auf EU-Ebene nicht mehr gelten, z. B. im Gesundheits-, Nahrungsmittel-, Landwirtschaftsbereich. Das bedeutet: kein Schutz vor genmanipulierten Nahrungs- u. Futtermitteln, keine ausreichenden Tests für Arzneimittel. Schäden müssen zuerst konkret nachgewiesen werden, bevor etwas verboten werden kann. Deutschland hat im Falle von Gen-Produkten vorerst das geltende nationale Recht für sich dazwischengeschaltet. Wie lange wird das noch gelten?

  • Firmen verlegen kurzfristig jeweils ihren Standort dorthin, wo sie weniger Steuern entrichten müssen. Seitdem gibt es einen verschärften Wettbewerb der Staaten untereinander, die Steuern für Unternehmen immer weiter zu senken. Das bedeutet: Es gibt weniger Geld in den Staatskassen => Reiche bezahlen immer weniger Steuern und bereichern sich dadurch immer mehr.

  • In den Freihandelsverträgen ist bisher meist enthalten, dass Unternehmen Staaten wegen entgangener Gewinne – oder solchermaßen nur von ihnen eingeschätzten, selbst errechneten – verklagen können. Das bei sog. „Schiedsgerichten“, die außerhalb der geltenden nationalstaatlichen Rechtsprechung agieren. Diese Schiedsgerichte fällen keine Urteile. Sie verhandeln Kompromisse. Bei Kompromissen muss jede Partei ein Stück nachgeben. Das liegt in der Natur der Sache. Es bedeutet letztlich, dass die klagenden Firmen in jedem Fall wenigstens einen Teil der „fantasierten“ entgangenen Gewinne einstreichen können. Es interessiert nicht, dass das ihr Unternehmerrisiko ist. Eine Reihe von „vermittelnden“ Wirtschaftsanwälten in Genf, die oftmals die Firmen auch beraten oder gar im Vorstand der Firmen sitzen, ist damit gut beschäftigt. Die Erfahrung zeigt, dass ca. 1/3 der zu Anfang veranschlagten „entgangenen Gewinne“ auf die öffentlichen Kassen zukommen. Das wiederum heißt: hohe Kosten für Staaten oder auch Kommunen – bis in Milliardenhöhe. Dies bezahlen immer die Steuerzahler*innen! Auch in Deutschland war das schon der Fall (z. B. große Energiekonzerne wie Vattenfall haben „verzichtet“ auf Gewinne wegen des Atom- und Kohleausstiegs und mussten entschädigt werden). Und umgekehrt? Ein Klagerecht für Staaten gegen Firmen gibt es hierbei nicht und auch keine Berufungsinstanz. Die erzielten Kompromisse sind bindend. Ordentliche Gerichte der nationalen Staaten können darüber nicht mehr entscheiden. Das haben die Staaten in den Freihandelsabkommen unterschrieben.

  • Während die Freihandelsverträge noch verhandelt werden, sind sie geheim. Sie treten jedoch in Kraft, noch bevor sie in den Parlamenten ausreichend gelesen, besprochen und darüber abgestimmt werden können. Meist sind sie in Werken von mehr als 1000 Seiten verfasst, in englischer Sprache, dazu in Floskeln, wie sie in der Rechtswissenschaft verwendet werden. Auch nicht jede*r Parlamentarier*in kann dies in Kürze ausreichend verstehen. So wird Demokratie ausgehebelt.

Wie konnte es kommen, dass Staaten ihre Handlungsmacht soweit abgetreten haben an die Wirtschaft? Große Teile unserer Infrastruktur, Arbeitsrechte, Verbraucherrechte, Gesundheitsschutz, Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie wurden ohne Not aufgegeben, damit der Handel ohne die so bezeichneten „Handelshemmnisse“ – wie Schutzmaßnahmen nun angesehen werden – agieren kann für kurzfristige Gewinnaussichten. Wollen Politiker*innen wirklich noch immer glauben an den versprochenen wirtschaftlichen Aufschwung und neue Arbeitsplätze – was selbst durch die eigenen Gutachten widerlegt wird? Können sie es immer noch nicht begreifen, was hier in großem Stile geschieht? Es liegen hunderte ausgearbeitete Freihandelsverträge mit unterschiedlichen Bezeichnungen in den Schubladen der Politik, die auf „geeignete“ Bedingungen warten umgesetzt zu werden. Wieso dulden Politiker*innen dies und halten weiterhin an solchen Verträgen fest, obwohl sie doch den Schwindel genauso merken können wie wir? Wenn sie aber feststellen, dass da ein Fehler im System liegt, dann ist es ihre Aufgabe, das System zu ändern. Kann denn Politik selbst für Politiker*innen so noch Spaß machen, wenn man sich die Handlungsspielräume dermaßen einschränkt?

 

Was kann uns da herausführen?

So wie Politiker*innen sich für die unfairen Handelsabkommen des „Freihandel“ eingesetzt haben, können sie andere Staaten vehement überzeugen und werben für eine gerechtere weltweite Wirtschafsordnung (faire Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz, Umwelt- Klima- und Naturschutz, Nachhaltigkeit, Schutzrechte für schwächere Staaten, Abschaffung der Armut, Gleichheit, Gerechtigkeit). Sie können engagiert und stetig arbeiten für eine Weltwirtschaftsordnung ohne den Zwang zu einer ständig weiter und weiter ausufernden Überproduktion von Dingen, die eigentlich nicht gebraucht werden (Postwachstumsgesellschaft). Das können sie, wenn sie selbst nicht zu sehr mit der Wirtschaft verbandelt sind und diese Reichen mit ihrem Reichtum und deren Lobbyisten selbst nicht zu sehr bewundern und in deren Interesse handeln. Was heute in vielen Fällen legal ist, beruht auf ungerechten Gesetzen, Bestimmungen und Verträgen, die von der Politik so geschaffen, den großen Wirtschaftsunternehmen zugestanden wurde – oft gerne. Diese unberechtigten Vorteile sind nicht legitim im Sinne von rechtmäßig nach Werten wie Anstand und Gerechtigkeit. Das sollte Unternehmen nicht erlaubt sein. Wenn Politiker*innen jedoch merken sollten, dass das Wirtschaftssystem schuld ist, dass damit nicht herauszukommen ist aus dem Krisen- und Katastrophenmodus, dann haben sie auch die Aufgabe, das zu ändern. Sie sitzen an den Hebeln der Macht, sie sind es, die den gesetzlich-rechtlichen Rahmen dazu schaffen können. Wie es geschehen ist mit den vertrackten Freihandelsverträgen, können sich Politiker*innen zunächst einiger großen Staaten genauso auf faire Bedingungen verständigen und einigen, dann weiter immer mehr Länder dazugewinnen und einbeziehen, und irgendwann setzt es sich auch für die restlichen anderen durch. Die sog. Zivilgesellschaft hat schon viele Vorschläge parat.
z. B. faire Arbeitsbedingungen, Gesundheitsschutz, Umwelt- und Naturschutz, und Schutzrechte für schwächere Staaten). Sie können engagiert und stetig arbeiten für eine Weltwirtschaftsordnung ohne den Zwang zu einer ständig weiter ausufernden Überproduktion von Dingen, die eigentlich nicht gebraucht werden (Postwachstumsgesellschaft). Das können sie, wenn sie selbst nicht zu sehr mit der Wirtschaft verbandelt sind und diese Reichen mit ihrem Reichtum selbst nicht zu sehr bewundern und in deren Interesse handeln. Was heute in vielen Fällen legal ist, beruht auf ungerechten Gesetzen, Bestimmungen und Verträgen, die von der Politik so geschaffen, den Wirtschaftsunternehmen zugestanden wurde – oft gerne. Das sollte Unternehmen nicht erlaubt sein. Diese unberechtigten Vorteile sind nicht legitim im Sinne von rechtmäßig nach Werten wie Anstand und Gerechtigkeit. Wie es geschehen ist mit den vertrackten Freihandelsverträgen, können sich Politiker*innen zunächst einiger großen Staaten genauso auf faire Bedingungen verständigen und einigen, dann weiter immer mehr Länder dazugewinnen und einbeziehen, und irgendwann setzt es sich auch für die restlichen anderen durch. Die sog. Zivilgesellschaft hat schon Vorschläge parat.

Eine andere Welt ist möglich.
Fordern wir es von den Politiker*innen! Das kann der Anfang sein für eine bessere, gerechtere Welt.

Tipp: googelt doch mal das „Alternative Handelsmandat“ ATM (Dazu: http://www.alternativetrademandate.org + http://www.attac.de)

  • Empört euch, wie Konstantin Wecker schon lange singt.
    Nur wenn Politiker*innen beunruhigt werden durch große Massen Wählervolk auf den Straßen, handeln sie (vielleicht!) doch.
  • Oder was meint ihr? Was würdet ihr vorschlagen?

Wir sind interessiert an eurer Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere-Kommentar-Box unten

Bildnachweis:

Bild von Eliza auf Pixabay

Quellen:

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!