AG Wir haben genug: Freihandel – Für wen ist er frei?

Weg mit allen Regulierungen! Für alle Seiten. Alles wird einfacher und „freier“?

Freihandel: Wie schön klingt dieses Wort mit seinem „frei“ im Namen! Doch was verbirgt sich dahinter? Wer oder was ist da frei? Warum wurden Vertragswerke geschaffen (Mitte der 1990er Jahre), die den Handel erleichtern sollen? Als Normalbürger*innen und Verbraucher*innen muss uns interessieren: Betrifft uns das? Bekommen wir etwas davon zu spüren? Bedeutet es nicht, wir können jederzeit Waren aus aller Welt kaufen, haben eine ungleich größere Auswahl, nicht nur die Produkte aus dem eigenen Land?

Was meint „Frei“handel?

Im Begriff „globaler Freihandel“ wird zunächst gesagt, dass jede*r Handel treiben kann, wie er/sie will, womit er/sie will und mit wem er/sie will. Doch welche Absichten stecken dahinter? Wer hat diese Absichten? Warum soll der Handel in seiner Freiheit befördert werden? Was ist dadurch überhaupt anders als vorher? Die Länder und Staaten haben doch immer schon Handel getrieben untereinander über alle möglichen Grenzen hinweg und waren darin frei. Die Preise bildeten sich durch die Konkurrenz untereinander. Wer billiger oder besser war, konnte mehr verkaufen und einnehmen. Was also ist der „Freihandel“ konkret? Der Teufel steckt im Detail. Unterschiede in den Bedingungen bei der Herstellung von Produkten sind die Gründe. Nicht überall herrschen gleiche Bedingungen. So war es immer schon. Beispiel: Wenn in Bayern der Boden mehr hergibt und leichter zu bearbeiten ist, dann können schweizer Bauern und französische Bauern in der Bretagne, die schlechtere Böden, an Hängen schwierige Pflege- und Erntebedingungen oder schlechtere Wetterbedingungen haben, nicht mehr verlangen für ihre Produkte, wenn sie sie verkaufen wollen. Die billigeren Waren aus Bayern drängen über ihre Händler gegebenenfalls auf ihre Märkte. Deshalb schützten benachteiligte Länder ihre Hersteller und ihre Waren mit Zöllen und anderen Schutzmaßnahmen. Das war lange Zeit auf der Welt so üblich. Die Idee des „globalen Freihandels“, die massive Werbung für ihn und seine Durchsetzung kommt aus den westlichen Industriestaaten, vor allem aus den USA und der Welthandelsorganisation WTO. Doch auch die EU bemüht sich beständig um die Ausweitung des Einflusses der WTO. Derzeit sind Freihandelsverträge unter verschiedenen Kürzeln in Kraft: GATT, GATS, TRIPS, TTIP, CETA, EPAs. Auch unsere ehemalige Bundeskanzlerin, Frau Merkel, hat eifrig in Afrikanischen Staaten dafür „geworben“. Was sind die Absichten dahinter? Was versprechen sich die Akteur*innen im Welthandel davon? Was wird uns als Normal-Bürger*innen versprochen?

Die großen Versprechen

Die Idee dahinter ist – positiv gesehen –, den Handel in der ganzen Welt zu erleichtern, den Produzenten weitere Absatzmärkte zu ermöglichen und den Käufern mehr Produkte und mehr Auswahl zur Verfügung zu stellen. Der Handel sollte nach dieser Vorstellung dem „Markt“ mit seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten von „Angebot und Nachfrage“ überlassen werden. Der werde es von allein am besten regeln. Alle Staaten sollten sich auf das Produzieren der Waren konzentrieren, die sie am günstigsten herstellen können. Dadurch versprach man sich (oder uns?) die vielbeschworene „Freiheit“ auf den Märkten der Welt und infolgedessen viele neue Ideen, Innovationen und Gewinne. Die seitherigen Regelungen, wie Einfuhrzölle für Billigware aus dem Ausland, Zuzahlungen an schwache heimische Produktionsbereiche (Subventionen), Steuererleichterungen für einheimische Hersteller, wurden als erschwerend für den Welthandel und als „Handelshemmnisse“ gesehen und so bezeichnet. Also: weg mit allen Regelungen! Für alle Seiten. Alles wird einfacher und „freier“. Und auch für die Bürger*innen sollten nur gute Entwicklungen dabei herauskommen. In ihren offiziellen Leitlinien hat sich die WTO zum Ziel gesetzt:
  • Erhöhung des Lebensstandards
  • Sicherung der Vollbeschäftigung
  • Ständig steigende Realeinkommen
  • Nachhaltige Entwicklung
  • Schutz und Erhaltung der Umwelt
  • Steigerung des Anteils der Entwicklungsländer am internationalen Handel
Doch die schönen Versprechen – das konnten die meisten von uns in den letzten Jahren, seit die ersten Freihandelsverträge mit ihren Regeln abgeschlossen wurden – haben sich nicht erfüllt. Hat sich unser Lebensstandard wirklich erhöht, weil wir mehr Auswahl an Dingen haben, die schnell kaputt gehen, damit nachgekauft wird? (Siehe Blogbeitrag) Die Armen werden ärmer, die Reichen werden immer reicher. Das ist bei einzelnen Personen so, aber auch zwischen Staaten. Die Vollbeschäftigung hat seit den 1990er Jahren drastisch abgenommen, die Arbeitslosenzahlen sind stetig gestiegen, befristete Stellen sind Normalität, Druck und Hektik am Arbeitsplatz nehmen zu. So ist es bei uns. In den sog. Billiglohnländern sind die Arbeitsbedingungen weit härter, dort herrschen oft sklavenähnliche Verhältnisse. Realeinkommen haben sich hierzulande – außer für wenige Bereiche (z.B. IT) – wenig bewegt oder sie stagnieren. In den USA und vielen Entwicklungsländern können viele Menschen von ihrem Einkommen nicht leben. Was wollen wir unter nachhaltige Entwicklung verstehen? Was hat sich entwickelt? Die Antwort muss leider lauten: Die Einkommen der 4 Reichsten haben sich um mehr als das doppelte entwickelt seit 2020 (oxfam-Studie 15.01.2024), die ihr Geld oft für Aktivitäten an der Börse verwenden, nicht aber für reale Geschäfte: also wenig neue Innovationen oder Anschubfinanzierungen! Viele Infrastruktureinrichtungen wurden aufgegeben oder an sog. „private“ Investoren verkauft. Soziale Standards wurden abgesenkt. Wer kann jetzt noch wobei teilhaben? Das gilt in den ärmeren Ländern noch mehr als bei uns. Unsere Umwelt – die Atemluft, erträgliches Klima ohne Katastrophen in immer kürzeren Abständen, sauberes Wasser, fruchtbare Böden, Natur und Artenvielfalt – ist weltweit so gefährdet wie noch nie. Jede*r konnte feststellen, dass der Verkehr durch den Transport über viele Stationen durch die ganze Welt, bis ein Produkt sein Endziel Verbraucher erreicht, zugenommen hat und damit der Klimakiller CO2-Ausstoß, weil jeder Produktionsschritt irgendwo anders auf der Welt ausgeführt wird, wo er billiger zu bekommen ist (Lieferkette). Den sog. Entwicklungsländern geht es schlechter als vor ihrer Unterschrift auf den Freihandelsverträgen – in die hinein sie überredet und oft auch gezwungen wurden –, wo sie einstmals ihre einheimische Produktion, ihre Waren und Märkte schützen konnten durch Maßnahmen wie Zölle, Subventionen oder Steuererleichterungen. Die ohnehin reichen Länder haben diese jedoch, entgegen der Abkommen, nie gänzlich abgebaut. Zudem zwingt der globale Freihandel die Kleinbäuer*innen, die Fischer*innen, das Handwerk, die oft erst im Aufbau befindliche Industrie in den ärmeren, wenig entwickelten Staaten Ländern zur Aufgabe, weil die Märkte mit Billigprodukten unserer Agrarindustrie überschüttet werden (z.B. Hähnchenfleischreste, Milchpulver, Weizenbackwaren). Selbst wenn die Menschen der armen Länder mehr arbeiten und mehr produzieren, am weltweiten Handel teilnehmen, geht es ihnen teilweise trotzdem oft schlechter. Man darf sich fragen: Wo ist hier die Freiheit? (1)(2)

Für arme Länder: eine unselige, erdrückende Entwicklung

Wie aber ist es den westlichen Industriestaaten (woher die Idee stammt) gelungen, ärmere Länder dazu zu bringen, Freihandelsabkommen zuzustimmen? Es geht dem eine längere aber kontinuierliche Entwicklung voraus.
  1. Zuerst wurden die armen Länder in eine Schuldenfalle gelockt (seit den 1980er Jahren). Von WTO, IWF, Weltbank und EU-Zentralbank wurden ihnen billige Kredite versprochen. Das geschah, obwohl diese großen weltweit agierenden Organisationen wissen konnten, dass die armen Staaten die Kredite würden niemals zurückbezahlen können.
  2. Die Zinsen wurden nämlich jedes Mal erhöht, wenn diese Länder von den Rankingagenturen herabgestuft wurden. Das bedeutet, dass sie im Zurückzahlen von Krediten schlechter eingeschätzt wurden im Vergleich zu anderen Ländern auf dem Weltmarkt. Die nun hohen Zinsen und Zinseszinsen (und nach jeder weiteren Abstufung noch höher) müssen sie nach dem Bankenrecht dennoch begleichen bis zum heutigen Tag und in die Zukunft hinein und zwar nicht in ihrer Landeswährung, sondern in Dollar – und sind ärmer als zuvor. Durch das bisschen an Infrastruktur und Bodenrechten, über das sie verfügten, waren sie oft gezwungen zu verkaufen an westliche Konzerne, damit sie die Zinsschulden wenigstens zum Teil begleichen konnten. Konzerne und reiche Staaten konnten sich bereichern und Gewinne machen. Die Menschen vor Ort haben nichts davon. Auch wenn manchen der allerärmsten Länder ein geringer Teil ihrer Schulden erlassen wurde. Sie bezahlen durchschnittl. 18% ihres Staatshaushaltes dafür (oxfam, Januar 2023).
  3. Auf den ehemals traditionellen landwirtschaftlichen Flächen zur Selbstversorgung entstanden riesige Monokulturen von Agarfirmen, auf denen die Menschen nun für Hungerlöhne arbeiteten und hungerten.
  4. Ein nächster Schritt war der globale Freihandel. Viele arme Staaten – nach 4 Jahren WTO-Regeln misstrauischer geworden – lehnten zunächst ab. Sie wurden dann aber, indem die reichen Industriestaaten deren Produkte nicht mehr abnahmen, von denen durch die Monokulturen die Auswahl sehr eingeschränkt war und sie durch langjährige Verträge gebunden waren, oftmals in die Freihandelsverträge gezwungen. Ansonsten wäre ihre Wirtschaft zusammengebrochen.
Eine Falle nach der anderen. Während immer weiter Menschen an Hunger sterben oder krank werden und in sklavenähnlichen Verhältnissen leben und arbeiten müssen, vor allem Frauen und Kinder. (siehe  Blogbeitrag)

Unser Land ist reich, nur weil andere arm sind

Die Zeit der übervorteilenden, ausbeuterischen, unfairen Kolonialpolitik der westlichen Staaten hat niemals aufgehört. Sie wird jetzt nur beschönigend mit anderen Begriffen benannt. Soll es den großen Konzernen und Banken, den weltweiten von den USA und der EU gesteuerten Organisationen weiter erlaubt sein, die Staaten im Süden und Osten zu knebeln, auszubeuten und in Armut zu halten für eigene Gewinne? Es sei darauf aufmerksam gemacht, dass all diese mächtigen Organisationen (WTO, IWF, Weltbank, EU-Zentralbank, Rankingagenturen) nie demokratisch gewählt wurden. Wie die Führungspersonen auf diese einträglichen Posten kommen, ist weithin undurchsichtig. Es gibt nur eine Handvoll Gewinner dieses irrwitzigen Wirtschaftssystems. 1% der Menschen verfügt über genauso viel wie der Rest der Welt. Inzwischen gibt es einzelne Personen und deren Firmen, die um vieles reicher sind als jeder noch so große Staat. Und die Ungleichheit nimmt ständig zu. Beispiele:
  • Jeff Bezos, der Gründer von Amazon, hat, soviel man wissen kann, ein Vermögen von 40-50 Milliarden $ – gehabt, bevor er es jetzt schnell wieder verlor.
  • Elon Musk, E-Autobauer, hat Twitter gekauft für ähnlich viel Geld – und hat sofort die Mehrzahl seiner Angestellten entlassen.
Diese und ein paar wenige andere Männer sind also nicht nur die reichsten, sie sind auch die mächtigsten Menschen der Welt. Sie sorgen dafür, dass sie ihre Macht auch durchsetzen. Zur Einhaltung von Regeln und Gesetzen fühlen sie keine Verpflichtung. Wollen wir das weiterhin so hinnehmen? Wozu haben wir Politiker*innen? Für ein immer „Weiter so“? Sie sind es, die an den entscheidenden Hebeln sitzen. Von ihnen sollten wir verlangen an einschneidenden Veränderungen zu arbeiten – und nicht nur darüber zu reden.
Tipp: Fachtagung: Krisen – Kriege – Klima: EU Handelspolitik in Zeiten globaler Katastrophen, 23.+24.Februar 2024 in Stuttgart, Forum3, Gymnasiumstraße 21.
Wie sollte unsere Welt aussehen?
  • Habt ihr Ideen, wie wir unsere Politiker*innen dahin bringen können, dieses toxische System aufzugeben?
  • Wie könnten wir ihnen begreiflich machen, dass auch sie dann ein besseres, gesünderes Leben haben würden?
  • Welche Wirtschaftsordnung haben wir dringend nötig? Teilt uns mit, was euch empört und welche Ideen ihr habt, etwas zu ändern.
Am besten über unsere-Kommentar-Box unten.

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!