AG Wir haben genug: Grünes Wachstum – eine Fundamentalkritik

Der Streit um das „Heizungsgesetz“

Was passiert, wenn eine Energiewende unter den Bedingungen grünen Wachstums in Gang gesetzt wird, erleben wir hier und heute. Wir haben alle erlebt, wie der Streit und die Diskussion um das sog. Heizungsgesetz die Sommermonate 2023 dominiert haben. Mit einem strengen Regelwerk sollten die im Pariser Klimaabkommen 2015 eingegangenen Selbstverpflichtungen der Bundesregierung nun auch im Bereich Energieverbrauch bei Gebäuden umgesetzt werden. Selbstverständlich steht außer Zweifel, dass zu diesem Ziel v. a. von Regierenden und Industrie noch viel zu wenig getan wird, die Aktivist*innen der „Last Generation“ weisen ja auch regelmäßig dringend genug darauf hin. Doch machte bei dem ganzen Streit, der schließlich zur Verwässerung der Gesetzesvorlage führte, letztendlich wohl der Ton die Musik. Die Mehrzahl der Betroffenen war wenig begeistert von „durchgestochenen“, d.h. vorzeitig bekannt gewordenen fertigen Lösungen, mehr Dialogbereitschaft und Rückkoppelung hätte dem unstrittig sinnvollen Anliegen sicher gutgetan. Uns als die AG „Wir haben genug“ bei attac Stuttgart interessiert in dem Zusammenhang hier aber vor allem, inwieweit die Energiepolitik des grünen Wirtschafts- und Energieministeriums eine wachstumstreibende oder nicht ist. Dazu müssen wir etwas ausholen. Als Antwort auf die Frage, was den Einfluss der menschlichen Aktivität auf Umwelt und Klima am stärksten bestimmt, kommen wir schnell auf die Faktoren Bevölkerung, Wohlstand und aktueller Stand der Technologie. Das haben drei US-amerikanische, früh ökologisch denkende Biologen und Ökonomen 1970 herausgefunden und dafür die sog. IPAT-Formel (Impact = Population x Affluence x Technologie; übers.: Einfluss = Bevölkerung x Wohlstand x Technologie) aufgestellt. Wenn Bevölkerung und Wohlstand unter der Annahme beständigen Wirtschaftswachstums immer weiter zunehmen, ist die Fortentwicklung von Technologien der übrig bleibende Schlüssel, damit das System nicht gegen die Wand fährt. Diese Logik steht hinter den in den letzten Jahren weltweit emporgeschossenen Konzepten von „New Green Deals“(1).

Doch was bedeutet das Festhalten (an den ersten beiden Faktoren Bevölkerungswachstum und Wohlstand in Deutschland) und das Hantieren allein mit dem dritten? Welche Aussichten und Konsequenzen hat ein New Green Deal unter wachsenden Konkurrenzbedingungen in einer vollen Welt? Wie geht die Weltgemeinschaft mit dem Ressourcenwettlauf um, welchen Stellenwert haben Übergangstechnologien? (siehe Blogartikel Kaufen, Kaufen, Kaufen)

Richtungswechsel zu einer sozial und global verantwortlichen Energiewende?

Der sich länger schon anbahnende und seit einem Jahr mit Beginn des Kriegs in der Ukraine mit Nachdruck stattfindende Umbau der weltweiten Energie-„Landschaft“ bekommt seine spezielle Prägung dadurch, dass er gezielt ökonomische Blöcke voneinander trennt. Aus (anscheinend) außerökonomischen Rücksichten heraus werden Rohstoffe liefernde Länder nach ihrer Zugehörigkeit zu den bestehenden Bündnissen – der „Westen“ bzw. die G7- oder auch NATO-Staaten und auf der anderen Seite die BRICS-Staaten und der Globale Süden – bewertet, und entsprechend ideologisch werden ihre Rohstoffe eingestuft. Bei der Wahl zwischen konkurrierenden Anbietern werden neue, strenge Sicherheitspolitik wieder zum anerkannten wirtschaftspolitischen Instrument geworden. Zusätzlich kommt es immer mehr zu Alleingängen der verschiedenen Blöcke: in den USA erleben wir gegenwärtig mit dem „Inflation Reduction Act“ eine ausgesprochene, industriegesteuerte Reindustrialisierung. Die drängenden Klimaziele und die psychologisch wirkende Sorge um die Energiesicherheit werden taktisch eingesetzt und beeinflussen alle Entscheidungen. Das Umschwenken von russischem Gas auf aufwendig zu handhabendes und zu verschiffendes LNG-Gas ersetzt allerdings nur Rohstoffgewinnung (Extraktivismus) durch die schlimmere (Frackinggas!). Derweilen vermelden Erdölfirmen wegen der entstandenen Verwerfungen auf dem Rohstoffmarkt Rekordgewinne(2). Die Energiewende unter den Bedingungen des grünen Wachstums läuft nun ausgerechnet auch noch über die drohende Auferstehung eines „Fossils“ im Wortsinn, nicht im energetischen Sinn: der Atomkraft. Die sog. Taxonomie-Regeln der EU sehen nämlich vor, dass Gas und Atomkraft ab 2023(!) als nachhaltig einzustufen sind, diese Einschätzung nahm die EU schon ein Jahr vor dem Krieg in der Ukraine vor. Zwar sind fossile Energie und Uran energetisch hochkonzentriert und konstant, Sonne und Wind dagegen niedrigkonzentriert und nur sporadisch verfügbar. Atomenergie könnte also als klimaneutral und ökologisch verantwortbar angesehen werden. Aber die riesigen Subventionen, das ungelöste Endlagerungsproblem und die immer bestehende Gefahr von GAUs schließen ihre Verwendung dennoch aus. Eine Wiederaufnahme würde, wegen der Ausrichtung als Großtechnologie, auch eine klare Rückkehr zu den Zuständen vor der emanzipatorischen Bewegung der 1970er Jahre – Wyhl, Wackersdorf, Gorleben – bedeuten.

Wie da herauskommen?

Die Energiewende muss in die Hände der Bürger, denn nur dann wird sie gelingen.(3). Das emanzipatorische Moment – das Gemeinwohl aller – sollte im Zentrum des Projekts stehen. Ansatzpunkte einer wirklichen Energiewende müssen daher sein:

  • Verteilungsgerechtigkeit
  • Verantwortungsvolle Mobilität
  • Gerechter Umgang mit Wärme und Licht
  • Abkehr vom Industrialismus (und den Besitzverhältnissen)
  • Ernährungsverantwortung und -gerechtigkeit
  • Digitalisierung nur bei sichergestellter Vergesellschaftung der Netze, Chats und Kanäle

Eine umsichtige Lösung, die nur auf Technologie setzt, müsste also – wenn sie im Alleingang überhaupt Sinn machen sollte – den verantwortlichen Umgang mit Ressourcen wie Selen, Tellur, Lithium und all den seltenen, immer knapper werdenden Erden umfassen (Beendigung des Extraktivismus). Die Wasserstofftechnologie wird nach gegenwärtigem Stand in ihren Chancen, ihren Kosten und ihrer Effizienz überschätzt. Sie sollte wegen der sicherheitspolitischen Abhängigkeiten, die sie schafft (Produktion im Globalen Süden), vorläufig von einer verantwortungsvollen Nutzung ausgeschlossen bleiben. Sinn macht allerdings die vom Schweizer Umweltpionier Walter Schmid entwickelte Verwandlung von Wasserstoff in Methangas (Methanisierung) hierzulande, mit hier und heute einfallendern Sonnenlicht: so könnte ein lokaler Energiespeicher für überschüssigen Strom in den Sommermonaten zur Verfügung stehen. Demokratie, Fähigkeit zur Selbstversorgung, Teilhabe, vor allem Dezentralisierung – auch bei der Digitalisierung – müssen die Grundanliegen jeder Art von Wandel bzw. Wende sein. Ethische Fragen (zu auf Anbauflächen für Nahrungsmitteln produzierten Biotreibstoffen, zu Solarkollektoren auf Anbauflächen, zu Holzbrennstoffen wegen ihrer Feinstaubentwicklung, zu Fragen der gerechten „Anpassung“ allgemein) müssen diskutiert werden.

Sind wir bereit, die Verantwortung für einen Gestaltungsvorgang zu übernehmen, dem wir nicht gewachsen sind? Wir denken: unter den Bedingungen des grünen Wachstums nicht.
Joseph Beuys

Deshalb: mehr Bescheidenheit, einfach etwas weniger von Allem, weniger globale Ungerechtigkeit, dafür mehr vom schönen Leben! Ein anderes Leben ist möglich, lautet bekanntlich die Überzeugung von attac.

Was ist eure Meinung?

  • Zwingen uns die Konstanten der IPAT-Formel auf den Weg unbegrenzten Wachstums?
  • Welche Punkte müssen zu den von uns angeführten noch für eine wirkliche Energiewende hinzukommen?
  • Wie ist eure Meinung zu Vorteilen und Nachteilen von Dezentralisierung?
Bildnachweis: Foto von Alexander Schimmeck auf Unsplash

Quellen

(1) Weiterlesen bei: Tim Jackson, „Wohlstand ohne Wachstum“ https://www.oekom.de/buch/wohlstand-ohne-wachstum-das-update-9783865818409
(2) NZZ 09.02.23
(3) Harald Lesch in „Leschs Kosmos“, ZDF, 11.04.23

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!