AG Wir haben genug – Kaufen, kaufen, kaufen

Was wir uns nicht mehr leisten können

Das derzeitige (kapitalistische) Wirtschaftssystem ist auf Wachstum angewiesen, darauf angewiesen, dass man immer mehr haben möchte (Konsumismus). Das bedeutet, dass immer mehr gekauft wird und verkauft werden kann. Dies wiederum setzt voraus, dass mehr und immer mehr produziert wird – auch weit über die eigentlichen Bedürfnisse der Käufer*innen hinaus. Einer der ersten, der dies erkannte, war der amerikanische Ökonom Victor Lebow, der schon 1955 folgendes in einem Aufsatz schrieb:

„Unsere enorm produktive Wirtschaft verlangt, dass wir Konsum zu unserem Lebensstil machen, dass wir das Kaufen und den Gebrauch von Gütern von Waren zu Ritualen ausbauen, dass wir unsere spirituellen Befriedigungen und Ego-Befriedigungen im Konsum suchen.“ (Übersetzung aus dem Englischen)

Ab den 1980er Jahren begannen die Marketing-Strategen aller großen Firmen diese Erkenntnis umzusetzen. Die neue Devise lautete ab da: „Marken, nicht Produkte!“. Bei der Kaufentscheidung sollte nicht mehr der Preis eines Produktes, sondern sein Image zählen. Beispiel: Der Inhaber von Diesel Jeans, Renzo Rosso, sagte damals im Interview: „Wir verkaufen kein Produkt, wir verkaufen einen Lifestyle. Unser Konzept ist alles. Es ist eine Art zu leben, eine Art sich zu kleiden …“. Vincent Cheynet ironisiert: „Früher konsumierte man, um zu leben, jetzt lebt man, um zu konsumieren“.

Der Konsum ist zu einem oder oft zu DEM sinnstiftenden Element im Leben vieler westlichen Menschen geworden, beschreibt Tim Jackson. (in: „Wohlstand ohne Wachstum“)
Beispiele:

  • Nach dem iPhone 4 müssen das iPhone 5, 6, 7… sofort her, obwohl nur von geringem Zusatznutzen
  • Die Bekleidungsindustrie erzeugt geschätzte 150 Milliarden Kleidungsstücke jährlich, folglich verursacht Kleidung jährlich 4% des Weltmülls, 92 Millionen Tonnen

Zu den Wachstumserfordernissen des kapitalistischen Wirtschaftssystems gehört zudem unter anderem, immer mehr Verbrauchsgüter zu produzieren, deren Lebensdauer künstlich verringert wurde, um immer schneller nachproduzieren zu müssen, bzw. zu können. Eine solche Verkürzung kann sowohl mit technischen als auch mit psychologischen Mitteln erfolgen.
Technische Mittel sind z.B.: Keine Reparaturen zu ermöglichen (nicht mal Batteriewechsel), frühzeitigen Verschleiß einzubauen, Software nicht kostenlos zu aktualisieren usw.
Psychologische Mittel: das Image von Produkten schnell altern lassen, d.h., schnell geringfügig variierte Nachfolgeprodukte auf den Markt zu bringen (Scheininnovationen) und so zu bewerben, dass die Kunden sich von den alten trotz uneingeschränkter Funktionsfähigkeit trennen, weil sie nicht mehr „up to date“ sind (z.B. iPhone-Generationen, Porsche-Generationen…). Beides bedeutet, dass die Produktion nicht steigt, weil gestiegene Nachfrage befriedigt werden muss, sondern dass für eine gestiegene Produktion die entsprechend größere Nachfrage (must have!) geschaffen werden muss.

Die Folgen dieses Wirtschaftens und damit des beständigen Wirtschaftswachstums sind zu bedenken: Das Weltwirtschaftssystem verbraucht jetzt schon jährlich ein Vielfaches dessen, was unser Planet ökologisch erneuern kann, dies gilt insbesondere fürs Klima. Die Ressourcenverschwendung ist unmessbar. Die Vermüllung der Erde (auch der Ozeane) nimmt stetig zu und ist zu einem ernsthaften Problem geworden. Den globalen Handel mit seinen Lieferketten und deren Transporte über Länder und Kontinente hinweg bezahlen wir mit einem ungeheuren Ausstoß an CO2, das die Klimakrise befeuert und die heimische Industrie und das Handwerk vielerorts zur Aufgabe zwingt. Anderswo arbeiten dafür Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen. Schon in den 1980er Jahren konnte man Stimmen hören, die feststellten, das man, um so mehr man hat, auch immer mehr Aufwand und Zeitverbrauch für aufräumen, pflegen, putzen, instandhalten… benötigt. Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet dieses System, dass immer mehr Menschen sich vieles mit ihrem Armuts-Einkommen nicht leisten können und sich deshalb ausgegrenzt vorkommen müssen.

Sind wir noch zu retten?

Gibt es einen Wohlstand ohne den sich laufend steigernden Konsum? Zu einem überraschenden Ergebnis kommt eine amerikanische Studie: Ab einem bestimmten Einkommensniveau – und dieses haben die meisten Menschen in Westeuropa in den 1980er Jahren erreicht – endet der Zusammenhang zwischen Mehr haben und Lebenszufriedenheit: Letztere stagniert oder sie sinkt sogar. (in: Maja Göpel „Unsere Welt neu denken“) Die Zufriedenheit aller kann also mit weniger (verbrauchen, produzieren und leisten) in vielen Lebensbereichen hinreichend erreicht werden (Suffizienz). Ist das nicht eine erfrischende Erkenntnis?

Tim Jackson fasst das in seiner Schlussfolgerung so zusammen:

„Über die Versorgung mit Nahrung und Obdach hinaus besteht Wohlstand in der Fähigkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, in dem Bewusstsein, dass wir Vorstellungen und Ziele mit anderen teilen, in der Fähigkeit zu träumen. Wir haben uns daran gewöhnt, diese Ziele auf materiellem Weg anzustreben. Uns von diesem Zwang zu befreien, ist die Grundlage für den Wandel“.

Um einen Zustand des stabilen Gleichgewichts in der Wirtschaft, d.h. des nachhaltigen Wirtschaftens zu erreichen (eine „Steady-State-Wirtschaft“) haben Wirtschaftsökonomen aufgezeigt, dass eine Reduktion auf ein Zehntel in der Ressourcennutzung notwendig ist.
(Friedrich Schmidt-Bleek, Herman Daly, in: Bruno Kern „Das Märchen vom grünen Wachstum“)

Oder in unseren nüchternen Worten: Die Abkehr vom Konsumismus ist eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen einer Gesellschaft ohne ständiges Wachstum (Postwachstumsgesellschaft). Diese Abkehr bietet zugleich eine Chance, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und die Chance für ein besseres, gesünderes, zufriedeneres Leben für alle. Jede*r kann dazu beitragen. Doch wir brauchen auch entschiedenes Handeln der Politik, das die Strukturen dafür schafft.

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