AG Wir haben genug: Wachstum und Energie – ein Paar, das sich umklammert hält?

Wenn wir von Energie sprechen, geht es um deren Verwertung. Damit ist der Zusammenhang zwischen Energiewirtschaft (Ökonomisierung) und dem aktuellen drängenden Thema Energiewende, dem wir uns hier zuwenden wollen, schon gleich angeschnitten.

Die Lage heute mit ihren Krisen

Unser Umgang mit Energie ist in kurzer Zeit in ganz vieler Hinsicht fragwürdig geworden. Nach einer 200jährigen enormen Entfesselung der Dynamik in der Wirtschaft erleben wir gerade, dass ein neues Kapitel in der Energiepolitik (auch im Verständnis der Zusammenhänge mit dem Ressourcenverbrauch, wozu Energie zählt) aufgeschlagen wird. Durch die Erkenntnisse der Wachstumskritik, des wissenschaftlich festgestellten Klimawandels und der gleichfalls geforderten Bewahrung der Schöpfung müsste nun ein Umdenken in der Gesellschaft in Gang kommen. Die Besorgnis über die toxische naturzerstörende Klimaentwicklung blieb noch bis vor wenigen Jahren im kleinen Kreis wissenschaftlicher Institutionen – etwa Weltklimarat (IPCC), Potsdam- oder Wuppertalinstitut. Außerhalb der Wissenschaft wurde diese Gefahr vor allem in sozialen Bewegungen und kirchlichen Kreisen wahrgenommen und diskutiert. Aufgrund einer Reihe von Konferenzen der Vereinten Nationen (UNO) – von Rio de Janeiro 1992 bis Paris 2015 – geriet das Thema nach und nach in den direkten Blick der internationalen Politik. Gleichzeitig mit der Einigung auf das 1,5 Grad-Ziel in Paris beschloss die UNO die 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs) bis 2030 zu erreichen. (1) Und wo stehen wir heute? Im Sommer 2018 begann Greta Thunberg ihre Klimastreiks gegen die Untätigkeit der Politik. In der Folge gründeten sich Massenbewegungen wie die „Fridays for Future“ und deutlich stärker öffentlichkeitswirksam bei „Extinction Rebellion“ und „Last Generation“ mit deren bewusst nervenden Aktionen. Sie knüpfen übrigens mit ihren kreativen Protestformen auffallend an die Vorleistung der Aktionskultur von attac in den 2000er Jahren an. Plötzlich war die Ölkrise von 1973 in den Köpfen wieder präsent. Sogenannte Brückentechnologien wurden entworfen für den Übergang von der fossilen in die nachhaltige Energiegewinnung. Und weil es in der Marktwirtschaft stets auf Profit und preisgünstiges Wirtschaften ankommt, fand man die geeignete Technologie in billigem Gas aus den Fördergebieten Russlands. Doch in den Industrienationen spielte die Einsicht in die Abhängigkeit von Energieimporten eine immer größere Rolle. Aktuell hat die eskalierte Spannungslage zwischen Russland und der Ukraine im Krieg und den daraufhin verhängten Sanktionen gegen Russland die Lage noch einmal grundlegend verändert. Im Verein mit der US-Fracking-Gas-Konkurrenz, die sich schon in Wartestellung befand, hat dies zum Aufgeben der russischen Gasimporte zugunsten von Flüssiggasimporten über die Weltmeere geführt. Energiepolitik und das Erreichen der Klimaziele sind endgültig zum großen Thema der Weltpolitik geworden.

Doch: Werden wir dem 1,5 Grad-Ziel mit Flüssiggas näher kommen können? Ist damit eine echte Energiewende erreichbar?

Die Grundkenntnisse

Viele Fragen tun sich auf. Um die komplexe Problematik des Energiehungers unserer Lebensweise zu verstehen, sind tatsächlich grundsätzliche Kenntnisse aus mehreren Bereichen von Nutzen. Der technische Aspekt In Erläuterungen zur Notwendigkeit einer Energiewende muss man sich zuvorderst über den technischen Aspekt klar werden, dass es eigentlich gar nicht möglich ist, Energie zu verbrauchen, sondern dass diese nur umgewandelt werden kann: in nutzbare Energie (also Bewegung), z.B. im Fall eines Motors oder unbrauchbare Energie (also Abwärme), z.B. beim Kühlschrank. Wenn sie also nicht verbraucht werden kann, uns also erhalten bleibt, stellt sich bei den verschiedenen Energieformen die entscheidende Frage, ob und wie wir Energie aufbewahren (speichern) können, bis wir sie brauchen? Viele Wissenschaftler waren an der Entdeckung und Entschlüsselung der Energie beteiligt. Den Begriff „Energie“ gab es viele Jahrhunderte überhaupt nicht. Man sprach eher von Kraft. In der Sprache der Physik taucht zudem um die Wende des 18./19.Jahrhunderts der Begriff der „Arbeit“ auf. Gaspard Coriolis in Paris benannte 1826 damit das Resultat von Kraft und Weg (kinetische Energie). Robert Mayer aus Heilbronn erkannte um 1840, dass Wärme durch Bewegung von Molekülen entsteht, was jede*r von uns kennt, wenn er/sie die Hände aneinanderreibt. Er war einer der Vordenker, nach dem Energie nicht verloren gehen kann (des allgemeinen Energieerhaltungssatzes). Albert Einstein schließlich lieferte die Theorie dafür, dass es möglich sein müsste, Masse vollständig in Energie umzuwandeln (atomare Kettenreaktion). Der Aspekt Arbeitswelt Wohl nicht zufällig fällt der Vorschlag, die Bezeichnung Arbeit auf eine physikalische Größe (das Ergebnis aus Kraft mal Weg) anzuwenden, zeitlich zusammen mit dem Aufstieg des Kapitalismus (siehe Blogeintrag Schafft sich die Marktwirtschaft selbst ab?), der darauf angelegt ist, die menschliche Arbeit und die Naturkräfte ausbeuterisch in Dienst zu nehmen. Das Neue daran war:
  1. Menschen wurden von anderen Menschen gezwungen, einen Teil ihrer Lebenszeit – den Teil ihrer Zeit, der über die für den direkten Lebensunterhalt notwendigen Zeit hinausgeht – zur Arbeit für die Erzeugung von Produkten zu verwenden, die nicht mehr ihnen selbst gehörten. Diese Produkte wurden in der Regel verkauft, der Gewinn gehörte denen, die andere zur Herstellung zwingen konnten.
  2. Parallel dazu nahm die Ausbeutung der Naturkräfte zur Schaffung solchen „Mehr“werts ihren Ursprung, exakt mit dem Beginn der Nutzung der fossilen Energien (Dampfmaschine, Hochofen, Petrochemie, Verbrennungsmotor).

Der Weg war lang

Die Menschheit ist nur sehr langsam in die Nutzung der Naturkräfte hineingewachsen. Lange hatte die Beobachtung der Wachstumskräfte der Natur, etwa bei der Saatgutauslese und der Nutztierzucht, und die Anpassung an sie für einen maßvollen zivilisatorischen Fortschritt ausgereicht. Nur die Beherrschung des Feuers, die am Beginn der Menschheitsentwicklung stand, hatte schon vor der industriellen Revolution das Potential zum Ressourcenmissbrauch, wie die Abholzung ganzer Wälder (z.B. im Mittelmeerraum), der Zugriff auf den halbfossilen Torf durch Plündern der Moore und die Beinahe-Ausrottung des weltweiten Walbestands um 1850 nur für den Gewinn von Lampenöl aus dem Fett der Meeressäuger zeigen. (2) Ohne das Antasten der fossilen Energien konnte sich das ökologische Gleichgewicht zehntausende von Jahren nahezu erhalten. Mit menschlicher und tierischer Arbeit (Rind, Pferd, Biene…), Wasser- und Windkraft (Bewässerungs- und Mühlentechnik, Segelschiffahrt…) und nachwachsenden Ressourcen zur Wärmeerzeugung war kein nennenswertes Wachstum zu erzielen. Aber dadurch konnte die Zivilisation ihr Maß behalten.

Ist aus der scheinbaren Unausweichlichkeit von heute zu entkommen?

Nach der industriellen Revolution und ihren Errungenschaften stellt sich heute mehr als brennend die Frage: Ist Wirtschaftswachstum, das von der Wirtschaft selbst und genauso von der Politik als unverzichtbar hingestellt wird, mit weniger Energienutzung zu verwirklichen? Sind die Klimaziele so zu erreichen? Jahr um Jahr steigt der Verbrauch an Energie und die Einsparungen werden von diesem stetig steigenden Energieverbrauch sogleich wieder aufgefressen. Wollen wir unserem Ende sehenden Auges entgegenlaufen? Müssen wir jetzt nicht zusehen, wie wir genau da herauskommen? Dass ein großer Teil der Bevölkerung – zumindest in Deutschland – einsichtig und bereit ist, Gewohnheiten zu hinterfragen zu ändern und sich diszipliniert einzuschränken, hat sich gezeigt gleich zu Beginn des militärischen Überfalls Russlands in die Ukraine und in Folge dessen der Gasknappheit: In Deutschland wurden 20% Strom eingespart. Und das von privaten Haushalten der Normalbürger. War das nun genug? Wo aber wurde in der Industrie gespart? Wo kam die Politik in die Gänge? Da wurde viel geredet seither, die Parteien haben sich in Position gebracht – aber wir müssen einen Nahezu-Stillstand in der Sache verzeichnen. Oder sogar eine Rolle rückwärts (z.B. auf Ebene der EU), weil man das immerwährende Wachsen der Wirtschaft nicht antasten will. Trotz besserem Wissen. Trotz Protestaktionen. Welche Mittel könnten helfen?

Nachwort aus der Philosophie

Das Zauberwort E.F.Schumachers „Small is beautiful“ erinnert an den schonenden Umgang mit der Natur vieler Jahre. Um so mehr musste der vom Kapitalismus ausgelöste und von Karl Marx hellsichtig beobachtete Einbruch der Entfremdung von der eigenen Arbeit und mit ihr der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten als die definitive „Vertreibung aus dem Paradies“ empfunden werden. Dieser Umgang mit Ressourcen – aus der Natur und den menschlichen – hat uns gleichzeitig eine zwischenmenschliche Kälte im nichttechnischen Sinn eingebracht. „Mehr Wärme“ forderte entsprechend schon Wilhelm von Humboldt um 1800. Verstehen wir die Empfindung der Wärme in ihrer sozialen Bedeutung, schlägt sich die Brücke zu heutigen Philosoph*innen der Degrowth-Bewegung wie Marianne Gronemeyer und ihrer Konzeption des freundlichen Miteinanders (Konvivialität) aller mit allen. (3) Auch da brauchen wir eine Wende! Hinzufügen ließe sich: Auch uns selbst gegenüber ist mehr Freundlichkeit anzuraten, damit wir uns von der Hektik und der Überfülle der sich widersprechenden Informationen in den uns umgebenden Strukturen nicht überrollen lassen. Was ist eure Meinung?
  • Was könnte helfen, die größeren Zusammenhänge mehr zu berücksichtigen?
  • Sollten Mehr-Nutzer von Energie auch mehr davon bezahlen?
  • Sollte ihnen ab einer bestimmten Verbrauchs-Menge gar der Strom abgestellt werden?

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!