AG Wir haben genug: Der Überdruss an den Parteien
Die Demokratie in Deutschlands Parteien: Reicht das aus?
Anfang dieses Jahres, am 23.Februar 2025 wurde in Deutschland neu gewählt. Vorzeitig. Die 4-jährige Legislaturperiode war noch nicht abgelaufen. Die Ergebnisse sind bekannt:
die Regierungsparteien: | SPD | 16,5% |
| Die Grünen | 11,6% |
| FDP | nicht mehr im Parlament |
seitherige Opposition | CDU/CSU | 28,6% |
| AfD | 20,8% |
| Linke | 8,8% |
Ein nie dagewesener Absturz des Vertrauens gegenüber vor allem der seither etablierten Parteien, von denen man meinen sollte, sie hätten ihren Platz im Regierungsgeschäft gefunden. Dieses Jahr wird in die Geschichte eingehen als denkwürdig niederschmetternd.
Was war da vorausgegangen?
Eine Partei und ihre beiden Parteivorsitzenden musste im Herbst vergangenen Jahres einsehen, dass sie falsch lag, sich übernommen hatte, alle Grundsätze und Überzeugungen über Bord geworfen hatte. Sie galt für viele lange Zeit als Hoffnungsträger. Das waren die Grünen. Als Friedenspartei – u.a. – angetreten, kann man da sofort, ohne innezuhalten, für Waffenlieferungen in einen Krieg stimmen? Haben sie sich das nie gefragt?
Ein Minister, der die Schuldenbremse als Schild vor sich hertrug und seine Hand brav über die Kasse hielt, sagte zu jedem Vorhaben: Nein. Das war Herr Lindner von der FDP, amtlicher Finanzminister. Wie rechtschaffen kam das daher! Scheinbar. Er war das Zünglein an der Waage. Jedes Mal. Ohne sein Ja konnte keine Mehrheit zustande kommen. Also kam nichts zustande. Wir erinnern uns nicht an viel mehr als eilig beschlossene Waffenkäufe um mehr als das Doppelte, (Die FDP ist schon lange immer zu haben für freie Fahrt für gute Geschäfte. Das nennt sich Neoliberalismus), außer Steuererleichterungen für die schon Reichen und außer die Freiheit, sein Geschlecht selbst zu bestimmen (was nichts kostet. Amtliche Bezeichnung: Gesetz über Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag). Verantwortungsvolles Regieren sieht anders aus. Da hat man einen ganzheitlichen Blick auf alles, nicht nur seine Parteilinie. Sollen wir als Wahlvolk etwa glauben, dass die FDP dafür sorgen wollte, dass sie in nicht ferner Zukunft wieder mit der CDU regieren und den Neoliberalismus weiter vorantreiben dürfe, die Bürger*innen aber die entstehenden Schulden und Folgen tragen sollten?
So gut wie nichts ging voran, immer nur Parteiengezänk und viel leere Reden. Was wir als Bürger*innen mitbekamen: Quasselbude. Kam doch ein bisschen etwas voran, so schienen die Politiker*innen zu glauben, ein neues Gesetz zu beschließen sei schon eine Tat und das sei genug. Für die Verwirklichung sorgten sie nicht. Die Bürger*innen waren zusehends verärgert und frustriert. Wer sollte noch an die politische Klasse glauben?
Der SPD-Kanzler, Olaf Scholz, musste im November einsehen, dass so nicht zu regieren war und schmiss das Handtuch. Neuwahlen sollten es retten.
Nun wollten die Parteien allesamt auffällig schnell „die Mitte“ sein. Ein Wort, das sich gut anhörte. Da wollte man selbstverständlich dazugehören. Sie versprachen sich davon, gewählt zu werden. Wir, ihr Volk und Wahlvolk, konnten nun noch weniger unterscheiden, wer für was stand, was wir zu erwarten hatten. Zumal wir die Erfahrung gemacht hatten, dass die Wahlreden nichts besagten darüber, was nachher geschehen würde. Bei Vorträgen, Diskussionen, Wahlveranstaltungen… mussten Bürger*innen viel dasselbe erleben: Politiker*innen interessieren sich nicht für deren Meinung, Erfahrungen und Anliegen. Auf Fragen gehen sie nicht ein, hören nicht zu, antworten nicht, wiegeln ab, spulen vielmehr vorher einstudierte Wahlreden ab.
Mussten die Bürger*innen nicht glauben, dass diese „Mitte“ bestimmt wurde durch:
- gut bezahlte Institute für Markt- u. Meinungsumfragen, die oftmals von Interessengruppen beauftragt werden, wieder Aufträge bekommen wollen und Ergebnisse ausspucken, die von den Auftraggeber*innen erwünscht erscheinen,
- durch die, die sich am lautstärksten inszenierten, die AfD und rechtsnationale bis faschistische Gruppen und
- an dem, was aus den USA und seinem Präsidenten D.Trump zu uns herüberreicht, dem sich hiesige Politiker allzugern andienern?
Eine kurz zuvor von Friedrich Merz, CDU, (inzwischen zum neuen Kanzler gewählt) errichtete verbale „Brandmauer“ gegen die AfD wurde sogleich wieder eingerissen, vielmehr die AfD für eigene Vorhaben mit ins Boot geholt, ihr nachgezogen und lieber Slogans und Sprachgebrauch von dort übernommen, was dem selbst zündeln gleichkommt und sie auf deren Weg bestärkt. Während drückende Probleme der Leute, wie Klimaschutz, Naturerhaltung, Wohnungsnot, gesunde, faire, nachhaltige Produkte, Frauenrechte… schnell aus dem Blick und ins Abseits gerieten. Noch keine 100Tage an der Regierung und die versprochene Entlastung durch steigende Energiepreise sollte nun nur noch für Großindustrie und große Land- u. Forstwirtschaftsbetriebe gelten, für Privathaushalte wurde sie zurückgenommen. Das nächste Vorhaben, die Wahl zu neuen Verfassungsrichter*innen, verhinderten innerparteiliche Streitereien der CDU. Damit beschädigte sie ihre eigene Partei, darüber hinaus die knappe Koalition, die Regierung und die Demokratie. Die Handlungsfähigkeit und -bereitschaft muss tatsächlich stark angezweifelt werden.
Gleich nach dem Scheitern der Regierung im November 2024 organisierten die „Omas gegen rechts“ für Anfang des Jahres Demonstrationen. In allen großen deutschen Städten Deutschlands. Zu Hunderttausenden strömten am 1. und 2. Februar 2025 die Menschen unter dem Motto „Wir sind die Braumauer“ auf die zentralen Plätze in den Städten. Allein in Stuttgart waren es 44,000 Menschen, in Berlin 160.000, in Hamburg 65.000 in Leipzig 10.000. Sie nahmen nun Partei für die „Brandmauer“ ein Niemand konnte mit diesem durchschlagenden Erfolg rechnen. Sie waren unübersehbar die Mehrheit.
Politiker*innen schaut her, hört her:
Das ist die MITTE der Gesellschaft!
Doch viel Aufmerksamkeit erreichen konnten die versammelten Menschenmassen dort nicht. Auch in den Medien spielte dieses Geschehen kaum eine Rolle. Auch diese weit weg von den Bürger*innen? Die Medien sollten als vierte Kraft neben Parlament, Regierung, Gerichtsbarkeit eine regulierende Aufgabe in unserer Demokratie erfüllen. So ist es vorgesehen nach dem Demokratieverständnis in unserem Lande. Aber auch sie versagten. Das war schnell vom Tisch. Wenn die Bürger*innen sich zu Wort melden, ist das keine Meldung wert? Gehört das Geschehen und die Demokratie allein den Parteien?
Ein nie dagewesenes Phänomen?
Moment, da war doch schon mal was. Die weitverbreitete aktuelle Unzufriedenheit an den Parteien und den Politiker*innen ist nicht erst heute ein Problem.
Schon Ende der 1980er Jahre konnte man nach einer Affäre um einen korrupten Politiker (U. Barschel), lesen: „Nur noch 27 Prozent der Deutschen (im Vorjahr: 37) halten „viel“ von ihren Volksvertretern. Der Rest hat „gar kein“ oder nur „wenig“ Vertrauen in die Politiker.“ (Wickert-Institute für Markt und Meinungsforschung, 1987, in: Jugendskala, März 1988)
Es gab auch andere Umfragen mit anderen Ergebnissen. Aber die genannten Ergebnisse erinnern schon sehr an heute, wenn sie nicht gar angesichts der Wahlergebnisse aktuell schlechter ausfallen müssen. Mehr als die Hälfte, 51% der Bevölkerung, haben derzeit nur geringes oder wenig Vertrauen in die Politik. (Deutschlandfunk Kultur, 22.6.2025)
Ende der 90erJahre erstand eine weltweite Agenda-Bewegung. Von den Bürger*innen initiiert. Das wurde auch in Deutschland aufgegriffen. Bürgerräte erarbeiteten für sie relevante Themen und Problemstellungen in ihren Städten und Gemeinden, formulierten ihre Vorstellungen, was zu tun wäre und wie sie sich ihren Lebensort und die Welt wünschten. Die Politiker*innen in Deutschland hielten dem vielerorts tollgemachte, bunte Broschüren entgegen, in denen sie auflisteten, was und dass es dies alles schon gebe in ihrer Kommune. Im Übrigen wollten sie sich nicht reinreden lassen: Immerhin seien SIE gewählt. Muss man noch mehr sagen zur Überheblichkeit von Politiker*innen und deren Vorstellung von Demokratie, in der das Volk regiert.
Hat sich viel geändert im Laufe der Jahre?
- Antifa-Auftritte gegen Wiederaufrüstung;
- Proteste gegen den sog. Radikalen-Erlass (die staatl. Antwort auf die RAF, als alle linken Einstellungen verdächtig wurden);
- Frauenbewegung für Gleichberechtigung, in deren Folge nach langen Kämpfen u.a. Gesetzesänderungen und Frauenhäuser entstanden und zuletzt die „Me To“-Bewegung;
- eine starke aktive Anti-Atomkraft-Bewegung;
- die Friedensbewegung mit ihrer Menschenkette von Karlsruhe bis an den Bodensee;
- Greenpeace mit vielen mutigen, riskanten, unübersehbaren Aktionen weltweit;
- attac, das zuerst auftrat mit der weltweiten Forderung, Aktientransfers zu besteuern, damit nicht grenzenlos auf den Wert von Wertpapieren gewettet werde und das Geld aus der Realwirtschaft abgezogen würde;
- Proteste gegen die Ziele der Wirtschaftsgipfel;
- Mehr Demokratie für direkte Bürgerbeteiligung u. -entscheidung (siehe Beitrag: AG Wir Haben Genug – Haben wir genug Demokratie?);
- Lobbycontrol zur Eindämmung der Beeinflussung der Politik durch Großkonzerne…
- bis hin zu Fridays for Future, die sich festklebten auf Autobahnen, um die Autofahrer zum symbolischen Stopp und zum mentalen Innehalten zu bewegen (siehe Beitrag: AG Wir haben genug: Dürfen die das? – Neue Protestformen );
Seit den 1950er Jahren bis heute übergehen Politiker*innen und Parteien Anliegen ihrer Bürger*innen und das Engagement dafür – wofür sie eigentlich beauftragt sind. Die etablierten Parteien handeln vielmehr zu oft dagegen, verfolgen ihre eigenen innerparteilichen Interessen oder die der Wirtschaft und erklären diese zum Wichtigsten und gar zu ihrem Auftrag.
Es will so scheinen – so wie man es der heutigen Jugend gern vorwirft, die vor dem Bildschirm nur noch die Meinung ihrer Anhängerschaft verfolge und sich gegenseitig darin bestätige –, dass auch Politiker*innen nur noch in ihren „Blasen“, ihrer Klasse verkehren und kommunizieren und für anderes immun sind, als gingen sie in einen anderen Aggregatzustand über, sobald sie gewählt sind. Computer ersetzen den Kontakt zu den Bürger*innen, Parteien fungieren dabei als Blasen.
Wollen wir das so weiter hinnehmen?
Wie können wir da rauskommen?
– Könnten die Bürger*innen nicht in Bürgerversammlungen und Abstimmungen parteilos direkt über ihre Belange bestimmen?
– Brauchen wir Parteien mit ihrem Filz und ihrer Ignoranz? – Was sollte sich bei ihnen ändern?
– Was könnte an ihre Stelle treten?
Wie ist eure Meinung? Wir interessieren uns dafür. Teilt sie uns mit. Am besten über unsere-Kommentar-Box, siehe unten.
Verantwortlich fü den Inhalt dieses Beitrages: AG Wir haben genug.
Klimakrise, Naturzerstörung, Flucht- & Armutsmigration, Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, Hass, Terror … „Weiter-so“?
- Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas und der Meere – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
- Weiter mit dem Artensterben in den Ozeanen und Flüssen, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?
- Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können, und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?
- Weiter mit Stress und Hektik, den menschenverarchtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein.
Eine andere Welt ist möglich!
