AG Wir haben genug – Immer weniger Landwirte – immer mehr landwirtschaftliche Überproduktion

Der Zwang zum Wachstum in der Landwirtschaft

Die Tatsachen: Die derzeit praktizierte industrielle energie- und transportintensive Landwirtschaft ist in den letzten Jahrzehnten mit ca. 25% aller Treibhausgasemissionen zu einem Hauptantreiber des Klimawandels geworden. Sie verbraucht rund 70% der weltweiten Land- und Wasserressourcen, erzeugt aber nur 30% der verfügbaren Nahrung. Umgekehrt erzeugen Kleinbauern 70% der Nahrung, nutzen dazu aber nur 30% der Ressourcen. Zudem ist die industrielle Landwirtschaft auf Hochertragssorten und Monokulturen ausgerichtet und kann nur unter dem Einsatz großer Mengen von Mineraldünger und Pestiziden überhaupt Erträge bringen. Sie gilt als großer Zerstörer der Artenvielfalt (Biodiversität), sowie als Ursache für Rodungen und Landraub, z.B. im Amazonasbecken, in Afrika, oder Indonesien. (Quelle: jährliche FAO/Food and Agriculture Organisation-Berichte, hier: https://grain.org/article/entries/4929)

Wie ist es zu diesem Missverhältnis gekommen

Um eine Vorstellung des Problems vom Zwang zum Wachstum in der Landwirtschaft zu gewinnen, ist es nützlich, sich die Entwicklung in der EU-Landwirtschaft anzuschauen. Wachstum ist geradezu das Hauptmerkmal der europäischen Politik nach den gemeinsamen Mangel- und Hungererfahrungen der beiden Weltkriege des 20.Jahrhunderts. Diese Erfahrungen, deshalb die Lebenshaltung zu sichern und die Wirtschaft in Schwung zu bringen, waren der Anlass für die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Von Anfang an wurde auch die Landwirtschaft marktwirtschaftlich gedacht und ausgerichtet. Dennoch setzte man ebenfalls von Anfang an auf entschiedene Eingriffe von Seiten der Politik (z.B. Subventionen).

Von 1957 an wurde mit den Römischen Verträgen durch die politischen Maßnahmen mit íhren vielen Regelungen, die das Wachstum fördern sollten, so z.B. das Agrar-Subventionssystem, regelrechte Wachstumstreiber verankert. Mit der in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) von 1962 festgeschriebenen Ankaufspflicht landwirtschaftlicher Produkte zu Mindestpreisen durch die Gemeinschaft wurde so getan, als ob der Markt unendlich aufnahmefähig sei. Das führte in der Folgezeit zu ungeheuren Wachstumsschüben („Butterberge“) und geriet von der Unterversorgung hinüber in eine Überproduktion. Wegen der Subventionierung auch von Exporten wurde ein Exportdruck erzeugt. All dies ging mit einer massiven Industrialisierung der Landwirtschaft bei drastischem Höfesterben einher, da die kleinbäuerlichen Betriebe dem Preisdruck durch die industriellen Großbetriebe nicht standhalten konnten.

Ab den 1980er Jahren bestimmte der heraufziehende Neoliberalismus die EU-Landwirtschaftspolitik mit:

  • der stufenweisen Rücknahme aller gesetzlichen Vorgaben (Deregulierung)
  • sowie der Rücknahme fast aller politischen Eingriffe in in den Markt (z.B. Verzicht auf Garantiepreise)

Davon versprach man sich weniger Überproduktion. Doch der Markt regelte nicht wie gedacht. Tatsächlich bereiteten Privatisierungen und Konzentrationsprozesse mit ihren Gewinnerwartungen erst recht den Boden für neue Überproduktion und Überangebotskrisen.
In der Verantwortung des Akteurs EU-Kommission (Vertreter der einzelnen Regierungen der Mitgliedstaaten) wurde und wird das derzeitige marktwirtschaftlich ausgerichtete System, mit seinem Ziel die Produktivität zu fördern und die Märkte zu stabilisieren, weiterhin verfolgt.

Neue Perspektiven?

Die sich seit den 1990er Jahren stetig erweiternde EU strebte und strebt seit dem Einsetzen des „ständigen Krisenmodus“ (Krieg gegen den Terror, Klimawandel, Finanzkrise, Fluchtproblematik, Corona-Krise…) ab 2001 danach, zunehmend ihr neues politisches Schwergewicht gerade im Agrarsektor zu untermauern. Mit „Frei“handelsabkommen, wie z.B. TTIP, CETA, JEFTA, EPAs, MERCOSUR…, soll dies abgesichert werden. Diese Handelsabkommen bedeuten für ärmere Länder, dass sie ihre einheimische Produktion nicht mehr durch Schutzmaßnahmen absichern können (z.B. Zölle). Sie werden dadurch in eine Zwangslage gebracht, die die eigene Landwirtschaft zum Aufgeben zwingt und für die Groß-Agrarindustrie dann wie eine Abnahme-Garantie wirkt.

Unter dem Eindruck der Klimakrise begann die EU-Kommission nun in letzter Zeit eine neue, „Grüne Agrarpolitik“ zu propagieren. Deren nach wie vor die industrielle Landwirtschaft begünstigenden schwachen Bestimmungen, erlauben es, die neuen Standards – insbesondere in Deutschland – zu unterlaufen (Quelle: Alexander Schauenburg, in: Turnaround: Der Klimawandel – Werden wir diese Herausforderung bewältigen? –
Die Verkehrswende – Die Agrarwende – Die Energiewende
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Attac Stuttgart, AG Wir haben genug). Aber Vorsicht!: „Grüne“ Produktivitätssteigerung bedeutet auch das Einsetzen von nicht gesicherten Biotechnologien wie der Genom-Editierung, d.h. der Erzeugung von Mutationen durch Schnitt und Reparatur von Gen-Sequenzen (das sind einschneidende Gen-Manipulationen), anstatt durch herkömmliche Zucht. Zudem setzt auch die Grüne Agrarpolitik weiterhin auf Wachstum.

Die Frage nach der Weiterentwicklung der Welt-Landwirtschaft wird derzeit zunehmend in die Richtung diskutiert, wie zukünftig 10 Milliarden Menschen satt werden sollen. Es findet ein oftmals interessengeleitetes Ausspielen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft (deren strukturelle, ökonomische, soziale, kulturelle oder psychologische Grenzen) gegen die angeblichen Segnungen der industriellen Agrarwirtschaft statt. Zur Lösung des Produktivitätsproblems schlagen Regierungskonzepte das Mitnehmen (Übertragen) des digitalen Entwicklungsschubs („4.0″) auf den Acker  („Bauernmilliarde“, Investitions- und „Modernisierungs“- Programm der Bundesregierung) vor. Dieser gerät wiederum wachstumstreibend, nicht nur von der Technologieseite her.

Allen diesen Konzepten liegt das Bekenntnis zum eingeschlagenen Weg mit seinem Fortschrittsglauben und die offenkundige Akzeptanz der Unvermeidbarkeit von Wachstum zugrunde.
Dabei sollte uns allen klar sein: die Aussagen des Club of Rome-/Meadows-Berichts von 1972 bestreitet heute niemand mehr. Wir können die „Grenzen des Wachstums“ nicht überschreiten (Quelle: https://clubofrome.de bzw. https://clubofrome.org). Deshalb bleibt auch jedes „Grüne Wachstum“ ein Märchen, das seinen Märchencharakter im Zusammenstoß mit der Realität zwangsläufig offenbaren wird (Weiterlesen bei: Bruno Kern, Das Märchen vom Grünen Wachstum, Rotpunkt-Verlag Zürich 2019).

Woher kommt dieser Wachstumszwang wirklich?
Gibt es eine Möglichkeit des Ausstiegs?
Wie wollen wir leben?

Welche Gedanken habt ihr dazu?

Wir laden euch dazu ein mitzudiskutieren. Kommentiert diesen Beitrag am Ende der Seite. Wir freuen uns über euer Feedback.

Bildnachweis: Matthias Böckel auf Pixabay

Nach der Corona-Krise: weiter so wie gehabt?

  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?
  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?.

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein.

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