AG Wir Haben Genug – Fortschritt, der zur Bedrohung wird

Die immer selben Sprüche

Oft genug haben wir von Politik und Wirtschaft gehört, die Wirtschaft muss florieren und wachsen, damit es allen gut geht. Dass dadurch unsere Arbeitsplätze gesichert sind und für das Einkommen aller gesorgt ist. Doch haben nicht in den letzten Jahrzehnten prekäre Arbeitsplätze zuhauf zugenommen, von denen die Menschen nicht mehr leben können, obwohl es der Wirtschaft, wie wir hören können, gut geht? Den unfreiwillig Arbeitslosen jedenfalls geht es nicht gut, auch den vielen Arbeiter*innen mit Mindestlohn nicht wirklich. Und unzählige machen in ihren Jobs viele unbezahlte Überstunden. (1)

Wo Fortschritt und Wachstum unterstellt wird, ist das oft eben gerade nicht gut für alle? Kommt da nicht oftmals der Pferdefuß hinterher, der uns einen wirklichen Tritt versetzt? Was ist Fortschritt wirklich? Sollten wir nicht ein paar grundsätzliche Fragen stellen?

Fortschritt durch Maschinen

Ein sauberes Beispiel: Wenn sich jemand eine Waschmaschine kauft, dann, weil es ihm mühseliges und kräftezehrendes Waschen von Hand erspart und er Zeit gewinnt, sich anderen – wichtigeren und/oder erfreulicheren – Tätigkeiten zuzuwenden. Das kann er, weil die Maschine ihn von der unbeliebten Arbeit des Waschens befreit. Dieses Beispiel zeigt aber auch: Maschinen dienen der Produktivitätssteigerung, d.h. mit ihnen kann derselbe Ertrag wie vorher mit weniger Aufwand erzielt werden. Im Falle der Waschmaschine: Der übliche Wäscheberg wird mit weniger Arbeitsaufwand bewältigt. Oder umgekehrt: Man kann mit gleichem Aufwand und Zeit mehr Ertrag als vorher erzielen, z.B. die Wäsche der ganzen Nachbarschaft waschen (und damit unsere Investition zu einem Geschäft machen).

Bei einem Unternehmen arbeiten viele Leute für den/die Unternehmer*in. Sie erhalten Lohn für diese Arbeit und der/die Unternehmer*in hat Gewinn für seine/ihre Idee und für ihre/seine Investitionen (eine Art Vorschuss oder Kredit, von dem er/sie sich am Ende ein Mehr als Gewinn verspricht). Verringerung des Aufwands bedeutet für sie/ihn Verringerung der Produktionskosten, d.h. vor allem: der Lohnkosten. Zwar verursachen auch Kauf und Einsatz von Maschinen Kosten, aber kein Unternehmen würde Maschinen einsetzen, wenn sie auf Dauer nicht billiger wären als Arbeiter*innen. Menschen, Arbeitskräfte sind der teuerste Faktor für ein Unternehmen. Fortschritt wurde seit Beginn des Industriezeitalters und wird noch immer hauptsächlich als technischer Fortschritt gedacht, genauer: in Form von Erfindung neuartiger Maschinen, die entweder schneller sind und mehr Stückzahlen produzieren oder von denen man annehmen kann, dass von ihnen wiederum mehr Maschinen hergestellt werden können. Das verspricht für den/die Unternehmer*in einen stetigen Zuwachs an Gewinn.
Idealtypisch ergeben sich aus einer Produktivitätssteigerung für Unternehmer*innen vier Möglichkeiten:

  1. Wenn eine Maschine in der gleichen Zeit das Doppelte schafft wie vorher 10 Arbeiter*innen, können 5 davon entlassen werden. D. h. das Unternehmen spart 5 mal Lohnkosten.
  2. Den selben Einspareffekt kann es erzielen, wenn es keine*n entlässt, aber allen nur noch den halben Lohn zahlt.
  3. Oder aber es könnte mit gleich vielen Arbeiter*innen in gleicher Zeit und bei gleichem Lohn das Doppelte produzieren.
  4. Rein rechnerisch wäre es aber auch möglich, dass keine*r entlassen wird, aber alle nur noch halb so lange arbeiten, und zwar ohne Lohnkürzung (allgemeine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich). Allerdings hätte das Unternehmen dann keinerlei Lohnkostenersparnis.

Die Realität: Die vierte Möglichkeit scheidet leider aus. Auf die Kostenersparnis kann ein Unternehmen nämlich nicht verzichten, weil es sich in einem Verdrängungswettbewerb befindet und sich darin behaupten muss. In diesem kapitalistischen Verdrängungswettbewerb ist es für jedes Unternehmen überlebenswichtig, kostengünstiger – zumindest aber nicht teurer – zu produzieren als die Konkurrenten, wenn es nicht die Pleite riskieren will.

Unserem Waschmaschinen-Beispiel gemäß können wir davon ausgehen, dass einige Nachbarn nach kürzerer Zeit auch Waschmaschinen hätten und der erste Waschmaschinenbesitzer nun befürchten müsste, Kunden und Einnahmen zu verlieren. Unter den Bedingungen des heutigen kapitalismustypischen Verdrängungswettbewerbs hat ein*e Unternehmer*in diesen Antrieb durch die Verdrängungsdrohung durch Konkurrent*innen und konkurrierende Produkte immer im Rücken. Die Firma, die immer gleich bleibt und dasselbe in derselben Menge herstellt, ist schnell vom Markt verschwunden. Unzählige Firmen warten schon darauf deren Platz einzunehmen. Nur der/die Hersteller*in, die/der dafür sorgt, dass er/sie immer etwas neueres oder billigeres anbietet, hat eine Chance. Es darf keinen sinkenden – nicht einmal zu wenig wachsenden – Bedarf geben. (Dafür sollen die Verbraucher*innen sorgen indem sie kaufen, kaufen…)

Nicht nur, wenn neue Maschinen die Arbeit übernehmen, auch sinkendes Wachstum der Firma (wenn Aufträge oder Abnahme der Produkte fehlen) gefährdet im Kapitalismus Arbeitsplätze. Und zwar nicht nur bei Minus-Wachstum – also wenn die Gesamtproduktion tatsächlich abnimmt – sondern schon, wenn das weiterhin bestehende Wachstum zu gering ist, um Profite in einer Höhe erwarten zu lassen, die weitere Investitionen als lohnend erscheinen lassen. (Weswegen heute oft statt in die real produzierende Wirtschaft in Finanzspekulationen investiert wird.)

Die Spirale dreht sich weiter

Die Wirtschaft treibt Wachstum, Produktivität (immer mehr neue Dinge) voran. Doch sollten wir die stetige Steigerung der Produktion unbedingt als Fortschritt ansehen? Selbst wenn unbegrenztes Wachstum möglich wäre, bliebe die Frage, ob die Steigerung der Produktivität überhaupt wünschenswert ist. Gesteigerte Produktion – in unserem Beispiel: der Einsatz der Waschmaschine – macht das Leben nicht in allen Fällen bequemer. Für Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen sieht die Sache sehr unterschiedlich aus. Dass die Mär vom wachsenden Wohlstand FÜR ALLE schlicht eine Unterstellung ist, spüren immer mehr Menschen bitter im eigenen realen Leben. Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen sind in diesem Spiel nicht gleich stark.
Betriebe (vor allem ab einer bestimmten Größe) sitzen am längeren Hebel. Arbeitgeber*innen können mithilfe von Maschinen (theoretisch) eingesparte Zeit und Geld dazu nutzen, um für ihren eigenen Vorteil zu sorgen. Hauptsächlich Großkonzerne müssen nicht ihre Insolvenz befürchten. Unternehmer*innen sind im Verdrängungswettbewerb des Kapitalismus bestrebt – und das ist die Definition des Begriffes „Kapitalist“ – ihr Geld ständig zu vermehren, um sich neue Investitionen zu ermöglichen oder ihren Reichtum zu erhöhen. Sie geben damit gleichzeitig die problematische Seite anihre Arbeiter*innen weiter und machen deren Leben schwerer: Es kostet deinen Arbeitsplatz oder du schuftest für 2 – oder du bekommst nur halb soviel Lohn (oder eine Kombination aus den letztgenannten 2Faktoren).

Heißt das, dass die Lage für die arbeitende Bevölkerung immer schwieriger wird? Mit jeder neuen Erfindung? Das können wir nicht wollen.

  • Wie könnte ein Fortschritt aussehen, der für die meisten Menschen ein wirklicher Fortschritt ist und ein besseres Leben bringt?
  • Sollte vielleicht nicht nur Lohnsteuer von den Arbeiter*innen erhoben werden, sondern auch Maschinensteuer von den Unternehmen?
  • Wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen ein Fortschritt?
  • Wir sind interessiert an eurer Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere-Kommentar-Box unten

 

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