Das kranke Gesundheitssystem heilen – Aber wie?

Warum hören wir so oft, wenn wir uns über das teure Gesundheitssystem in unserem Land wundern und Leistungen einfordern, die weggefallen sind, mehr sei nicht zu bezahlen. Das Beispiel Corona hat uns sehr deutlich gemacht, dass in unserem Gesundheitssystem in Deutschland vieles auf Kante organisiert ist. Woran liegt das? Wer bestimmt die Regeln? Wer sind die Strippenzieher? Wer verdient an der Gesundheit – oder Krankheit? Wer bestimmt die Kosten? Woran liegt es, dass Gesundheitsartikel und Medikamente nicht zu haben sind, im Ausland billiger sind oder plötzlich ausgehen? Da entstehen viele Fragen.

Die Macht der Pharmakonzerne

Das Patentrecht verhindert dringend erforderliche medizinische Behandlungen. Pharmafirmen bestehen meist auf ihrem Patentschutz (in der Regel 8Jahre). In dieser Zeit darf niemand anderes dieses Produkt herstellen. Die Preisgestaltung liegt ganz in der Hand dieser Firmen. Danach verstehen sie es oft, den Patentschutz durch kleine Veränderungen weit zu verlängern (bis ca. 20Jahre). Das bedeutet für ärmere Länder oft einen Ausschluss aus der Möglichkeit notwendiger medizinischer Behandlungen, weil neuere Medikamente viel zu teuer sind in diesen Ländern. Erst nach Auslaufen des Patentschutzes kann ein Medikament von einer anderen Firma oder im Ausland (dort oft billiger) hergestellt werden. Oftmals sind Patente für Pflanzen und ihre Wirkstoffe (oft aus anderen Kulturen erschlichen) keine Erfindung im technischen Sinne – wofür das Patentrecht einstmals erdacht wurde. Patente für medizinische Produkte gehören deshalb abgeschafft. Diese Kenntnisse über Wirkstoffe und andere Forschungsergebnisse müssen für jede*n zugänglich und nutzbar sein. Das Saatgut für Heilpflanzen darf ebenso nicht unter den Patentschutz fallen.
Notwendige Arzneimittel müssen ohne Einschränkung national hergestellt werden können, damit sie zu jeder Zeit für alle auf kurzem Wege erhältlich sind.

Forschung und Wissen sollten für alle offen sein. Die Forschung darf nicht zu großen Teilen den Pharmakonzernen überlassen bleiben, die nur dort forschen, wo dies interessante Gewinne verspricht (z.B. fehlt es an Forschung für Medikamente gegen Tuberkulose, Malaria, Lepra, Augenkrankheiten, die zur Erblindung führen, Durchfallerkrankungen… UNIs und Hochschulen müssen mit genügend Geldern für unabhängige Forschung ausgestattet werden – hierzulande sowie in Entwicklungsländern.
Forscher*innen aus Entwicklungsländern sollte ermöglicht werden, an westlichen Einrichtungen zu forschen und zum Nutzen aller Menschen in einen kontinuierlichen Austausch mit Wissenschaftler*innen aller Länder zu treten.

Was sollte zu einer guten medizinischen Grundversorgung gehören – was nicht?

Gleichheit und Gerechtigkeit gelten auch und gerade für die medizinische Versorgung. Viel zu viel müssen Kranke hierzulande inzwischen selbst bezahlen – oder sog. Zusatzversicherungen verdienen gut daran. Krankheit darf nicht (zusätzlich) arm machen. Behandlungen, die aus der Grundversorgung herausgenommen wurden, müssen zurück in den Regelkanon.
Es gibt jedoch neben den vielen Dingen, die wir derzeit selbst bezahlen müssen, auch umgekehrt Leistungen, bei denen man zumindest die Frage stellen kann, ob dies sinnvoll oder gerecht ist. Mit Einsparungen dort, könnten andere Löcher gestopft werden. Vorstellbare Beispiele dafür gibt es.
Für ihre riskanten Vorlieben z.B. könnten Patient*innen mit hochriskanten Sportarten zum Ausgleich ihre Behandlung aus deren Folgen (Sportunfällen usw.) zu 50% selbst tragen müssen. Etwas Verantwortung könnten sie schon selbst übernehmen.
Angesichts der hohen und exponentiell ansteigenden Erdbevölkerung (wenn auch in der derzeitigen öffentlichen Debatte ausgeblendet) ist es angezeigt (vor allem in armen Ländern), Verhütungsmittel kostenlos zur Verfügung zu stellen. Geborene Kinder von Müttern in schwierigen Lebenssituationen oder von schon geschwächten, hungernden Müttern, die kein Geld für Verhütung hatten, haben wenig gute Überlebenschancen. Frauen sind in der Regel hierbei verantwortungsbewusster als Männer. Zum Ausgleich könnte Reproduktionsmedizin (vor allem in reichen Ländern in Anspruch genommen) privat bezahlt werden. Kinderlosigkeit ist keine Krankheit. Auch wenn in den westlichen Ländern oft die Haltung vorherrscht, alles müsse allen kostenfrei zur Verfügung stehen, ist doch zu Bedenken, dass Kinder nicht wie Konsumartikel zu haben sein müssen und von Natur aus kein unabdingbares Versprechen darstellen. Manche Paare bekommen Kinder, andere nicht. Das ist eine Tatsache des Lebens. Ein Leben ohne Kinder kann ein ebenso gelingendes, befriedigendes Leben sein. Auch Adoptionen sind eine Möglichkeit. Dadurch wäre sogar manchem alleinstehenden Kind geholfen. Oder man bezahlt selbst dafür.
Andere Beispiele, wie z.B. Schönheitsoperationen, Operationen zur Geschlechtsumwandlung… gehören ebenfalls auf den Prüfstand. Die Diskriminierung betroffener Personen sollte dabei selbstverständlich ein absolutes No-go sein.

Wer bestimmt im Gesundheitsbereich

Die öffentliche Hand, das sind Kreisverwaltungen, Kommunen, kirchliche Träger bestimmen in Deutschland darüber, ob sie Krankenhäuser betreiben wollen oder können oder ob sie Gesundheitseinrichtungen und Pflegeheime schließen oder verkaufen(ebenso „private“ Träger). Das hängt meist von den finanziellen Möglichkeiten ab. Ausstattung, einschließlich Apparatemedizin dieser Einrichtungen finanzieren sie hauptsächlich ebenfalls, bis auf die notwendige Abrechnungstechnik (mit Krankenkarten) Die Träger (öffentl. Hand…) bestimmen über das jährliche Budget.
Löhne und Gehälter bezahlen die jeweiligen Einrichtungen von ihrem zugeteilten Budget. Die traditionell sog. „Frauenberufe“ sind immer noch weit unterbezahlt, was ein Skandal ist! Gewerkschaften haben Einfluß auf Löhne – aber begrenzt –, jedoch nicht in den kirchlichen Einrichtungen. Dort sind die Löhne oftmals noch niedriger (weil frau es dort angeblich aus Nächstenliebe tut, von der sie dann schlecht leben kann).
Konzerne (Sie gelten als „private“ Unternehmen) betreiben oftmals Spezialkliniken, in denen z.B. nur eine Art von Operationen (z.B. nur Knieoperationen) durchgeführt werden. Bei ihnen gilt das Gewinnprinzip. Dort gibt es oft keine Notaufnahme, auch wenn sie auf dem flachen Land liegen, wo es in der weiteren Umgebung keine Krankenhäuser mehr gibt.
Die Pharmakonzerne bestimmen, für welche Medikamente sie Gelder für Forschung ausgeben wollen und legen ihre Preise selbst fest. Dort, wo es guten Gewinn verspricht, wird geforscht. Sie haben es bisher verstanden, das Patentrecht weidlich auszunutzen.
Die Krankenkassen bezahlen hierzulande Behandlungen beim Arzt und Behandlungen in den Krankenhäusern. Sie bestimmen, welche Behandlungen bezahlt werden und wieviel Zeit jede*r Patient*in bei einem Arztbesuch beanspruchen kann (Fallpauschale). Sie bezahlen und bestimmen ebenfalls die Abrechnungstechnik (über Krankenkarten) in den Artpraxen. An Medikamenten der selben Art werden in der Regel nur die preiswertesten übernommen. Darüberhinaus muss selbst bezahlt oder zugezahlt werden. Krankenkassen bezahlen Bettenplätze (Zimmer) in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen derzeit nur, wenn sie durch einen „Fall“ beansprucht sind, d.h. wenn sie belegt sind. Das hat zur Reduzierung der Bettenzahl (Notfallreserve) geführt.
Die Regierungen bestimmen, welche Regeln gelten. In den letzten Jahrzehnten haben sie immer mehr Bereiche den Firmen und Versicherungen überlassen und sich aus Entscheidungen rausgeschlichen mit der Begründung, der „Markt“ (also Firmen) könne dies besser regeln. Die Qualität im Gesundheitsbereich ist seither stetig gesunken. Die vorschnelle Annahme, Privatisierungen funktionierten besser, ist längst durch die Praxis widerlegt.

Brauchen wir nicht bessere Regelungen? Regelungen, die nicht an ihrem Sinn vorbeigehen?

Unser Gesundheitsminister Lauterbach, SPD, schlägt vor, die Fallpauschalen jetzt abzuschaffen (zu lockern?). Er hat neue Ideen und Pläne zur Änderung der Krankenhauslandschaft, er will die Zuzahlung für Medikamente bei Kindern verringern, Arztpraxen sollen nicht von privaten Investoren – so wie die Krankenhauskonzerne – aufgekauft werden dürfen… Noch muss das mit den Koalitionspartnern abgestimmt, vom Bundestag beschlossen und vom Bundesrat gutgeheißen werden. Warten wir ab, was dabei herauskommt.

In welcher Welt wollen wir leben

Wenn wir in Gesellschaften leben wollen, in denen es um das Wohl der Menschen geht und nicht in erster Linie um den größtmöglichen Gewinn, dann müssen die Weltgemeinschaft (UN) und die nationalen Regierungen verpflichtende Regelungen schaffen, zuvorderst:

  • die Medikamente, Impfstoffe und medizinische Forschungsergebnisse aus dem Patentrecht ausschließt,
  • genauso wie eine Wirtschaft raus aus den globalen Lieferketten. Die sind, wie sich gezeigt hat, im Ernstfall nicht kontrollierbar. Gesundheitsartikel müssen in kurzer Zeit aus kurzen Entfernungen von Unternehmen lieferbar sein, die ihre Produktion schnell hochfahren können,
  • Ebenso dürfen Gesundheitseinrichtungen nicht von Konzernen betrieben werden, da es denen in erster Linie um größtmögliche Gewinne geht und Gesundheit an zweiter Stelle steht.
  • Ärzte und Pflegepersonal brauchen genügend Zeit für ihre Kranken und Alten. Weg mit den Fallpauschalen.

Das Gesundheitswesen braucht Menschennähe und eine Organisation in übersichtlichen Reichweiten mit genügend Ressourcen überall auf der Welt. „Nötig ist ein Aktionsprogramm zur Rekommunalisierung des Gesundheitswesens.
(Karl Heinz Roth, in: medico rundschreiben 01/22)

Zum Wohlergehen der Menschen gehört grundlegend eine gute, verlässliche Gesundheitsversorgung in ihrer Nähe.

 

  • Wie ist eure Meinung, wird nicht den Krankenversicherungen vielleicht zu viel Macht zugestanden?
  • Teure Gerätemedizin und viel Verwaltungsarbeit oder mehr Zeit für Patient*innen? Sollte da nicht noch einmal überprüft werden, wann was sinnvoller ist?

Wir sind interessiert an eurer Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere Kommentar-Box unten.

 

Bildnachweis: Tung Nguyen auf Pixabay

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

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  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
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  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!