AG Wir haben genug – Schafft sich die Marktwirtschaft selbst ab? Wie wenn es keinen Marktwettbewerb und keine Käufer*innen mehr gäbe…

Marktwirtschaft oder Kapitalismus – oder was?

In ihren Anfängen nach 1945 haben viele Menschen in der Bundesrepublik Deutschland die so bezeichnete „soziale Marktwirtschaft“ für ein brauchbares System gehalten, weil sich auf diese Weise angeblich „automatisch“ die einzelnen Kräfte in der Wirtschaft die Waage halten. Wir erleben sehr auffällig, dass dem nicht so ist. In der Sprache der Politiker wurde sie in den letzten Jahrzehnten deshalb immer mehr nur zu einer „Marktwirtschaft“. Das „Soziale“ ließ man lieber weg. Unter Frau Merkel als Bundeskanzlerin ist daraus dann eine „Marktgerechte Demokratie“ geworden. Es landet immer mehr Geld bei den sowieso Superreichen. Das wollte man unter „Marktgerecht“ verstehen. Die Politiker hierzulande haben sich immer gescheut, das Kind beim Namen zu nennen. In keinem Schulbuch kommt der ehrliche – und wissenschaftlich korrekte – Begriff dazu vor. Doch es kann kaum noch verhohlen werden: Wir leben im Kapitalismus – mit seinem Zwang zum Wachstum.

Warum ist Wirtschaft ohne Wachstum im Kapitalismus nicht möglich?

Der tiefste Grund für diesen Wachstumszwang ist das Profitprinzip, das den Wesenskern des Kapitalismus ausmacht: Ein Kapitalist ist dadurch definiert, dass er sein Geld investiert, um es zu ver“mehr“en. Dieses Mehr an Geld, das er aus einem Geschäft herausholt, mehr als das, was er hineingesteckt hat, ist sein Profit. Hat er sein investiertes Kapital plus einen Profit zurück, ist beides zusammen sein neues – größeres – Kapital, das er wiederum investiert, um auch damit wieder einen (größeren) Profit anzustreben. Und so immer weiter.

Es versteht sich von selbst, dass investieren – und Geld vermehren – nur möglich ist, wenn sich die Möglichkeiten für profitable Investitionen entsprechend vermehren. Denn Investor*innen wollen mit ihrem Mehr an Geld nun mal immer mehr Gewinn machen. Und das geschieht nur dort, wo sie etwas finden, von dem sie meinen, eine Investition lohnt sich. Also braucht es weiterhin wachsende Produktionsbereiche. Das wiederum setzt voraus, dass die Produktion von Gütern und Dienstleistungen der gesamten Wirtschaft permanent wächst.

In ihrem jeweiligen Bemühen, ihr investiertes Kapital zu vermehren, konkurrieren die Kapitalisten gegeneinander. Genauer: Sie liefern sich einen gnadenlosen Verdrängungswettbewerb. Wer den nicht überlebt, hat keine Chance mehr, Profit zu erzielen. Und ihn überlebt nur, wer produktiver ist als seine Konkurrent*innen, beispielsweise wer ein Produkt kostengünstiger herstellen und deswegen preisgünstiger anbieten kann als die anderen. Deshalb muss jedes Unternehmen bei Strafe des eigenen Untergangs permanent Kosten senken, vor allem Lohnkosten, da diese sein größter Kostenfaktor sind. Dies geschieht heutzutage insbesondere durch Einsatz arbeitskräftesparender Technologien (Roboting + Digitalisierung). Das bedeutet für die Menschen: mehr Entlassungen.

Die Großen fressen die Kleinen

In diesem permanenten Überlebenskampf sind große Unternehmen im Vorteil: schon allein, weil sie z.B. beim Materialeinkauf Mengenrabatt erhalten (denn jeder Lieferant liefert gern mehr und hat weniger Aufwand), oder sie erzwingen niedrigere Einkaufspreise (was Lieferanten dem Druck aussetzt, die Lohnkosten zu senken, bzw. Entlassungen zu veranlassen), oder sie können sich schneller neue Technologien leisten… Aber vor allem, weil sie das nötige Kapital haben, um Preiskämpfe (Preisdumping) länger durchzustehen als ihre Konkurrent*innen. Das heißt: Im Verdrängungswettbewerb ergibt sich der Drang oder betriebswirtschaftliche Wachstumszwang, möglichst größer zu sein als die Konkurrenten. D.h. letztlich: Die großen Konzerne lassen die kleinen Betriebe durch Preisdumping verschwinden und übernehmen deren Marktanteil (Verkaufsmöglichkeiten).

Beispiel: Kapitalismustypisch wird der kleine Bäcker von großen Backketten verdrängt. Solange bis es nur noch wenige – oder nur eine – Backkette gibt, die dann die Preise selbstbestimmt immer höher bis ins Unermessliche setzen kann, da kein anderer die Preise unterbietet.
Beispiel: Jeff Bezos, der Gründer von Amazon hat, soviel man wissen kann, ein Vermögen von 40-50Milliarden$. Das ist viel mehr als irgendein Staat an Vermögen hat. Elon Musk, E-Autobauer, bemühte sich Twitter zu kaufen für ähnlich viel Geld. Diese und ein paar wenige andere Männer sind also nicht nur die reichsten, sie sind die mächtigsten Menschen der Welt.

Diese Beispiele zeigen, wie weit wir als Normalverbraucher einzelnen Unternehmen ausgeliefert sind. Und nicht nur für die Preise und für die Armut von vielen, auch für eine einheitliche ihnen gemäße Meinungsmache können diese großen superreichen Konzerne sorgen.

Der Zwang zum Wachstum ist der Ursprung der permanenten Entwicklung hin zur Konzentration und Monopolisierung. Das bedeutet letztendlich jedoch die Abschaffung der Marktwirtschaft. Denn wo es keine (oder sehr wenige) Konkurrenten gibt, ist auch der Wettbewerb und also der Markt verschwunden. Wir haben das in vielen Branchen bereits erlebt: verschwundene Lebensmittelläden um die Ecke, verschwundene Elektrogerätehersteller, verschwundene einheimische Bekleidungsindustrie… Bisher hat diesen Mechanismus kein Kartellamt verhindert, wofür es eigentlich geschaffen wurde. Doch ist es das, was wir wollen? Ist es nicht höchste Zeit für eine Korrektur?

Wer soll das bezahlen?

Wichtiger und fataler noch als die betriebswirtschaftliche Auswirkung des Wachstumszwangs ist die volkswirtschaftliche Auswirkung des Wachstumszwangs, der Monopolkapitalismus. Denn je mehr in dieser Endlos-Spirale alle Unternehmen Lohnkosten sparen, um so eher fehlen jedem von ihnen die kaufkräftigen Endverbraucher*innen. Wenn aber alle Unternehmen zunehmend Arbeitskräfte durch Maschinen ersetzen, entsteht gesamtwirtschaftlich gesehen Arbeitslosigkeit. Und Arbeitslose haben kaum Geld viel zu kaufen.

Der verderbliche Weg des Wenn-Dann: Steigende Arbeitslosigkeit => verringerte Kaufkraft => sinkende Nachfrage => weniger Produktion => Investitionsrückgang wegen mangelnder Profitaussichten => vermehrt Konkurse => steigende Arbeitslosigkeit…
Auf diese Weise landen wir in einer Rezession (Stillstand), in der zwar zunächst die Preise wenigstens nicht angehoben werden, da die Kaufkraft nachlässt, weil die Leute kein Geld haben. Die Geschäfte und Betriebe nehmen aber auch weniger ein und mehr von ihnen geben deshalb auf, was wiederum mehr Arbeitslosigkeit bedeutet… (weiter siehe oben)

Zusammengefasst: Das Erzielen von Profit erfordert möglichst niedrige Lohnkosten und zugleich möglichst hohe Kaufkraft. Ersteres verhindert aber Letzteres. Aus diesem dem Kapitalismus von Anfang an enthaltenen Widerspruch resultiert der Wachstumszwang. Denn in diesem System muss das stetig zunehmende Kaufen gesichert sein.

Aus diesem Teufelskreis gibt es INNERHALB des Kapitalismus tatsächlich nur den Ausweg, den die meisten Politiker*innen landauf landab als alternativlos predigen: Die gesamtwirtschaftliche Produktion muss wachsen. In der Sprache von Aufwand und Ertrag heißt das meist: NICHT gleich viel herstellen, aber mit weniger Arbeitskräften (= gleicher Ertrag mit weniger Aufwand), sondern mit gleich vielen Arbeitskräften mehr produzieren (= mit gleichem Aufwand größerer Ertrag). Das bedeutet: mehr Ausbeutung der verbliebenen Arbeitskräfte.

Da kein noch so großes Wachstum das oben beschriebene Ausgangproblem löst: nämlich, dass im Verdrängungswettbewerb jedes Unternehmen bei Strafe des eigenen Untergangs gezwungen ist, lohn- und kostengünstiger – heute vor allem: arbeitskräftesparender – zu produzieren als seine Konkurrenten und da natürlich für jedes Mehr an Produktion auch wieder die entsprechende Kaufkraft benötigt wird, reproduziert sich dieser innere Widerspruch des Kapitalismus nach jedem Wachstumsschub neu. Und zwar bis ins Unendliche. Oder bis zum Kollaps.

Hier bleibt nur eins:
Raus aus diesem toxischen System, das uns am Ende zu würdelosen Arbeitslosen macht, das sämtliche Kreativität und Innovation am Ende nutzlos erscheinen lässt und uns alle zusammen in den Ruin treibt, weil auch die Kapitalisten ohne uns als Käufer nicht existieren können.

Wir können als Gesellschaft noch etliche Jahrzehnte so weitermachen mit diesem Wirtschaftssystem, dazu ein paar neue abenteuerliche Finanzmarktgeschäfte, weitere peppige, kurzfristige Technologien, manch ausgeklügelte Steuertricks… erfinden, um Geld für Reiche und Superreiche zu vermehren, damit wenigstens die kaufen können. Aber die Menschheit und der Planet können auf diese Weise nicht weiterbestehen. Die Notwendigkeit einer anderen – mehr am Menschen, der Natur und der Rettung des Klimas und damit des Planeten ausgerichteten – Wirtschaftsordnung drängt sich auf. Hierhin muss unsere Fantasie und unser Wagemut gehen, wenn wir ein besseres, ein gutes Leben wollen.

Eine andere Welt ist möglich!
Ein anderes Wirtschaften ist nötig!

Diese Fragen sind offen:

  • Brauchen wir eine starke politische Macht, zentral organisiert, um da rauszukommen?
  • Sollte jede Region dieses Problem, in ihrem Nahbereich, wo sie sich am besten auskennt, selbst in die Hand nehmen?

Oder was meint ihr? Was würdet ihr vorschlagen?

Wir sind interessiert an eurer Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere Kommentar-Box unten.

Bildnachweis:Jan Vašek auf Pixabay

Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!