AG Wir haben genug – „Bedingungslos“ erwünscht? Über ein Leben ohne Zwang zur Arbeit

Worum es geht

Wir kennen es alle: Dieses Leben in Hetze, in dem man kaum noch hinterher kommt und in den Verpflichtungen erstickt! Das Wirtschaftssystem, das aus immer neuen Gründen zu kollabieren droht. Politik, die sich immer wieder den Vorgaben der Wirtschaft beugt. Die Welt, deren natürliche Grundlagen bedroht sind. Muss das so sein?

Häufiger hört man jetzt in den Medien und von Politiker*innen, dass über ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE) diskutiert und informiert wird. Das BGE, wenn es eingeführt würde, soll – so die Idee – allen Bürger*innen, groß und klein, ohne Bedingungen monatlich ausbezahlt werden. Es könnte viele Notlagen verhindern oder entschärfen helfen und das Leben für jede*n um einiges befreiter machen. (dazu: Blog-Eintrag: „Eine bedingungslos gute Idee, die nur gedacht werden muss“)

Politiker*innen quer durch alle Parteien in unserem Land befürworten mittlerweile diese Idee. In den USA spricht inzwischen Präsident Biden positiv darüber.

Eine Vielzahl von Modellen ist durchgerechnet, die Finanzierung möglich. Geld ist auf der Welt genügend vorhanden. Im kleinen Maßstab wurde es in einigen Ländern schon ausprobiert. Die Zahl der Arbeitslosen ist dort dabei in etwa gleich geblieben. Die Rückmeldungen der Betroffenen über die Auswirkungen sind durchweg positiv: die Menschen werden entspannter, die Kreativität steigt, die Gründung von Kleinunternehmen nimmt zu, es ist mehr Zeit und Energie für Bildung verfügbar, die Menschen können sich in größerem Umfang einbringen ins Gemeinschaftsleben… Sie bekommen in vielen Fällen ihre Würde und Selbstbestimmung zurück. (in: Werner Rätz, Dagmar Paternoga „Zukunftsmodell Grundeinkommen?“ attac-Basistext)

Doch: Ist alles nur einfach? Oder stecken die Probleme wie so oft im Detail? Woran wäre zu denken?

 

Was nicht passieren darf

Die bekannteste Variante zur Finanzierung des BGE – von dm-Gründer Götz Werner sehr beworben – hat zur Folge, dass alles über eine erhöhte Mehrwertsteuer auf alles (Waren und Dienstleistungen) finanziert werden soll. Das sei gerecht, weil dann jede*r nach seinem Verbrauch einbezahlt. Gerecht ist dieses Modell für Arme gerade nicht: Was sie eben als BGE bekommen haben (es versteht sich: nicht zu üppig), müssen sie dann sofort in Form drastischer Preiserhöhungen wieder aus- und zurückgeben. Denn ihre Ausgaben gehen fast in Gänze drauf für den Lebensunterhalt (+ hohe Mehrwertsteuer). Reichere Mitbürger stört die erhöhte Mehrwertsteuer wenig, sie spüren sie kaum an ihrem monatlichen Budget, da der Anteil für Verbrauchsgüter bei ihnen verhältnismäßig gering ist. Auch das glanzvolle Argument von Götz Werner, er wolle damit gleichzeitig das komplizierte Steuersystem vereinfachen, darf sich nicht zum Nachteil der armen Bevölkerungsteile auswirken.

Da mit dem BGE niemand arbeiten muss, werden als zusätzliche Einkommensquelle wahrscheinlich eher gern Arbeiten und Projekte angenommen, die interessant, abwechslungsreich, sauber, körperlich nicht allzu schwer oder anstrengend sind. Das zeigt zumindest die Erfahrung in Deutschland. Wer macht dann die Müllabfuhr, die Kanalreinigung, Bauarbeiten, Putzdienste…? Es ist ein entstehender „grauer Arbeitsmarkt“ zu befürchten, in dem Menschen ohne deutschen Pass alle die unbeliebten Arbeiten verrichten – wie wir es leider jetzt schon haben. Das jedoch sollte überwunden werden. Das BGE für uns darf nicht schlechte Bedingungen für andere schaffen. Ein versicherungspflichtiger guter Mindestlohn ab der 1.Arbeitsstunde (auch Minijobs…) für alle (auch für Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus, was jetzt schon zu großen Ungerechtigkeiten und Ausbeutung führt) könnte Abhilfe schaffen.

Mit der Abschaffung von einem Großteil der Vollzeitstellen darf nicht im Nebenbei und unbemerkt die Absicherung durch das Sozialsystem (für den Krankheitsfall, für Rente…) hierzulande wegfallen. Menschen hätten mit dem BGE nicht automatisch eine Krankenversicherung oder Renteneinzahlungen, wie es derzeit der Fall ist, weil es gleich vom Lohn einbehalten wird, was dann wegfiele. Das darf keineswegs hingenommen werden. Im Fall der Einführung des BGE müssen hierzu vorab neue Überlegungen angestellt werden. Dabei könnte eine Transformation der Versicherungssysteme (auch: alle bezahlen ein in dieselbe Kasse!) z.B. in kleinen angepassten Schritten über einen längeren Zeitraum erfolgen.

Die übrige Welt darf dabei nicht vergessen werden. Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre auf niedrigerem Niveau auch in den ärmeren Ländern zu schaffen. In den allerärmsten Ländern können 10 $ oder 15 $ für jeden Menschen (auch für Kinder) schon ein Überleben in Würde sichern. Das BGE könnte zudem eine Umkehr und Transformation weg vom einseitigen Gewinndenken, eine echte „Globalisierung für Menschen“, bedeuten. (in: „Zukunftsmodell Grundeinkommen?“ attac-Basistext)
Allerdings müsste dann von unseren Politikern verzichtet werden auf ungerechte „Frei“handelsverträge wie z.B. die EPAs, die von Anfang an ungerecht sind und geschaffen wurden, um die Bevölkerung dort für die Industrie, große Konzerne und Banken in der westlichen Welt schuften zu lassen.

 

Und die politischen Akteure?

Wenn auch manche Politiker sich für ein BGE erwärmen und sich einzelne offen dafür aussprechen, es sieht nicht so aus, als könnten wir es tatsächlich in naher Zukunft erwarten. Doch in der neuen Regierung in Deutschland werden Versuche in dieselbe Richtung angedacht und diskutiert: z.B. Kindern zur Geburt + zum 18.Geburtstag einen bestimmten Betrag automatisch auszuzahlen, um wenigstens etwas Armut zum Start ins Leben wegzunehmen und die Chancengleichheit zum Start ins Berufsleben zu erhöhen.

Auch der Mindestlohn kann als ein Beispiel dafür angesehen werden. Zuerst wurde er national eingeführt – wenn auch noch viel zu wenig kontrolliert –, jetzt wird er auf europäischer Ebene diskutiert. Eine sich ausweitende Globalisierung auf dieser Ebene in Schritten ist vorstellbar, wenn es auch Zeit und Ausdauer braucht.

So wie Politiker sich für die unfairen Handelsabkommen des „Freihandel“ eingesetzt haben, können sie für ein gerechteres weltweites System werben und dafür stetig arbeiten. Denn was heute in vielen Fällen legal ist, beruht auf ungerechten Gesetzen, die von der Politik so geschaffen wurden. Diese unberechtigten Vorteile sind nicht legitim im Sinne von rechtmäßig nach Werten wie Anstand und Gerechtigkeit. Was also den sowieso Reichen ungerechterweise in den vergangenen Jahren von der Politik in hohem Maße zugeschanzt wurde, davon kann man ihnen auch wieder etwas nehmen und der Gemeinschaft für Gemeinschaftsaufgaben zurückgeben. Mit den entsprechenden Gesetzen. Das BGE ist eine Möglichkeit dafür. Der Widerstand wird groß sein. Das können wir absehen. Auch die Industrie wird zuletzt einsehen, dass sie nur mit Käufern rechnen kann, wenn diese genügend Geld haben.

Doch auch wir alle sind selbst politische Akteure auf diesem Feld. Also lautet auch an uns die Frage: Geht es tatsächlich? Vertrauen wir darauf? Oder sollten wir gleich aufgeben? Wir können uns dafür einsetzen. Mit Nachdruck und Geduld.

Wer sich engagieren möchte: In einigen Städten gibt es schon Bürgerinitiativen zum BGE. Erkundigt euch.

Her mit dem guten Leben! Bedingungslos. Für alle.

Noch viele Fragen sind offen:

  • Was meint ihr, würden sich die Löhne vielleicht senken, wenn Arbeitgeber wüssten, dass ihre Arbeiter von vornherein schon das BGE bekommen?
  • Würden Qualität und Attraktivität der Arbeitsplätze mit dem BGE eher ansteigen, weil man ja nicht jede Arbeit annehmen muss?

Wir sind interessiert an eurer Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere Kommentar-Box unten.

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In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!