AG Wir haben genug – Arbeiten wozu? Immer mehr, immer schneller, immer besser?

Was ist der Sinn von Arbeit?

Die Frage, wozu sie arbeiten gehen, werden wohl die meisten Menschen damit beantworten, dass sie ihren Lebensunterhalt finanzieren müssen und sich hie und da einen Wunsch erfüllen möchten. Dagegen bleibt es, Erfüllung zu finden in ihrer Tätigkeit, in unserem heutigen kapitalistischen Wirtschaftssystem für viele eher ein Wunschtraum. Selbst Leuten, für die Konsumieren als solches ein Genuss ist – Stichwort Shoppen gehen –, bzw. die immer „up to date“ sein wollen, müssten die Kosten zu denken geben: Sie schrauben die nächste Generation Porsches zusammen, um sich eine Wohnung und etwas zu essen leisten zu können. Sie verkaufen irgendwelchen Ramsch an der Kasse bei Primark, um eine Krankenversicherung zu haben. Sie verticken ressourcenverschwendende Videospiele, um eine Altersvorsorge zu haben.

David Graeber, einer der Initiatoren der occupy-Bewegung in den USA 2011, spricht von „Bullshit-Jobs“ und erklärt: „1930 sagte John Maynard Keynes voraus, dass die Technologie bis zum Ende des Jahrhunderts so weit fortgeschritten sein würde, dass Länder wie Großbritannien oder die Vereinigten Staaten eine 15-Stunden-Woche erreicht haben würden. Alles deutet darauf hin, dass er recht hatte. Technologisch gesehen sind wir hierzu in der Lage. Dennoch passierte dies nicht. Stattdessen wurde Technologie dafür eingesetzt, dass wir alle mehr arbeiten. Um dies zu erreichen, mussten Jobs geschaffen werden, die im Resultat sinnlos sind. Große Mengen an Menschen, insbesondere in Europa und Nordamerika, verbringen ihr gesamtes Arbeitsleben damit, Tätigkeiten auszuführen, von denen sie heimlich denken, dass sie eigentlich nicht getan werden müssten. Der moralische und spirituelle Schaden, der aus dieser Situation entsteht, ist schwerwiegend. Es ist eine Wunde in unserer kollektiven Seele. Doch praktisch niemand spricht hierüber.“(1) (Übersetzung aus dem Englischen)

Gleichzeitig arbeiten viele immer mit der Bedrohung, sie könnten ihren Arbeitsplatz verlieren. In den als Ersatz zurechtgestutzten Arbeitsmöglichkeiten in Teilzeit-Jobs, Mini-Jobs und Jobs auf Zeit…, können sie dann ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten von ihrem Verdienst. Und dem Druck durch die Job-Center hierzulande, jede Arbeit anzunehmen, kann sich kaum jemand entziehen, wenn er kein Geld mehr hat. Die Konsequenz für den arbeitenden Teil der Bevölkerung ist die Tendenz, dass die Menschen nicht mehr arbeiten, weil sie die hergestellten Produkte brauchen, sondern weil sie Arbeitsplätze brauchen. Also arbeiten sie, um überhaupt arbeiten zu können. Sie arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen: zunehmend wie im Rad rennende Hamster – zum Teil in mehreren Jobs – bis zur körperlichen und/oder psychischen Erschöpfung. (dazu: Studien des DGB + Verdi (2))

Dazu noch müssen die Menschen immer mehr Geld für Ersatzanschaffungen ausgeben, weil die Lebenszeit der Dinge künstlich immer kürzer gehalten wird und keine Reparaturen möglich sind oder der Druck durch Werbung, sich immer neue Modelle von ein- und demselben anzuschaffen (z.B. neueste Modelle von teuren Autos, Handys, Videospielen, Schuhe…) immer schneller angetrieben wird. Das ausgegebene Geld fehlt dann für die Befriedigung anderer Bedürfnisse. Bzw. die Menschen müssen mehr arbeiten, um dieses Geld zu verdienen, sodass die Zeit zur Befriedigung anderer – insbesondere nichtmaterieller – Bedürfnisse fehlt, die das Leben tatsächlich ausmachen und mit Sinn füllen.

Die Wirtschaft propagiert zwar immer mehr Wachstum, mehr Produktivität (mehr Maschinen anstelle von Menschen) für immer mehr neue Dinge – und sorgt bisher auch dafür. Doch eine ketzerische Frage sei erlaubt: Sollten wir die stetige Steigerung der Produktivität unbedingt als Fortschritt ansehen? Macht das uns das Leben wirklich leichter, schöner? Das ist letztlich die Frage, wozu wir arbeiten. Gehen die Menschen also überwiegend ihren beruflichen Tätigkeiten nach, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen oder um der ständig weiter steigenden Produktivitätsanforderung des kapitalistischen Systems nachzukommen, das immer mehr Produkte schafft, die wir nicht brauchen, und das Arbeit schafft, wie wir sie nicht wollen? Und das oft mit weniger Verdienst. Damit erfüllen wir nämlich – ohne es recht zu merken – vor allem die hochgehaltenen Wachstumserfordernisse des Marktes. Längst haben wir mit unserer Wirtschaftsform einen Punkt überschritten, an dem der Sinn der Arbeit oftmals umgekippt ist in Zwang ohne wirklichen Sinn.

Die Lage

Im Arbeitsmarkt des Kapitalismus (oder seinen flotten Vetter dem Neo-Liberalismus, wie er sich heutzutage nennt) wird Produktivitätsfortschritt für Arbeitnehmer*innen immer wieder zur sozialen Bedrohung.

Die gesamtwirtschaftliche Situation ist heute dementsprechend: Am Vorabend einer gewaltigen Produktivitätssteigerung durch Robotik und Digitalisierung haben die meisten Menschen keinen Grund zur Vorfreude auf die damit möglichen Erleichterungen ihres Lebens, sondern müssen realistischerweise um ihre Arbeitsplätze fürchten. Und wie im Nebenbei werden sie zum gläserenen Bürger, der den im Grundgesetz verankerten Schutz der Privatsphäre für sich nicht mehr beanspruchen kann.

Gibt es ein Entkommen?

Ziel einer lebenswerten Gesellschaft sollte sein, dass nicht die einen arbeiten bis zum Umfallen und die anderen nicht wissen, wovon sie leben sollen. Man könnte sich die „Umwege“ des immer mehr produzieren, des immer mehr kaufen und immer mehr arbeiten, um zu einem besseren Leben zu kommen, auch sparen und gemeinsam den Grundbedarf für die verschiedenen Bedürfnisse sicherstellen (am besten in der Region). Raus aus dem immer Mehr. Raus aus dem falschen Wirtschaften. Raus aus der falschen Globalisierung. Genug produzieren für ein gutes, ausreichendes Leben. Ohne dauernde Steigerung des Verbrauchs, ohne dass Produktivitätssteigerung weder zu Lohnkürzungen noch zu Arbeitslosigkeit führt.

Ist es nicht mehr wert für uns, hin zu einer gemeinwohlorientierten Nutzung des Zuwachses an Produktivität zu kommen, sodass er allen Bürger*innen zugute kommt? D.h. den Mehrwert (überschüssige Gewinne) in die für alle öffentlich zugängliche Infrastruktur (Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder, öffentliche Plätze und Einrichtungen…) und Teilhabe an der Kultur zu investieren – und/oder es kann weniger gearbeitet werden. Das Leben entschleunigt sich, gewinnt mehr Qualität, weil wir mehr Zeit für unsere Familie, unsere Freund*innen, Klinder und Alten und für Kultur… haben. Arbeitet man nicht auch lieber dafür?

Dazu müssen wir auch und gerade den Staat in die Pflicht nehmen: er muss den Rahmen dafür schaffen durch geeignete Gesetze und indem er andere Staaten für ähnliche, faire Regelungen in den Arbeitsbedingungen gewinnt. Dass dies zu machen ist, können wir an der derzeitig falschen „Globalisierung“ sehen. Auch die wurde nur erreicht, indem unsere Politiker*innen in der Welt herumgereist sind und eine Vielzahl von Staaten dafür gewonnen haben. Es muss aber in einer anderen, erträglicheren Welt aufhören, dass Unternehmer*innen einseitig ihre Interessen durchsetzen können auf Kosten von Gesundheit und von der Zeit der Mehrheit der Menschen und auf Kosten des Klimas, der Natur, unserer aller Lebensgrundlagen.

Dieser Grundgedanke erstaunt auf den ersten Blick und scheint ungewöhnlich. Weil wir immer nur innerhalb des uns bekannten Systems, dem Kapitalismus, gedacht haben. Doch der Kapitalismus ist menschengemacht. Wenn wir an unserem Wohl interessiert sind und angesichts der drohenden Klimakatastrophe eine glaubhafte und tragfähige Perspektive entwickeln wollen, müssen wir:

Radikal neu denken und planen. Fangen wir an damit!

  • Wie könnte oder sollte Arbeiten für alle anders organisiert werden?
  • Welche Rolle sollten Unternehmer*innen haben in einer entschleunigten Welt?
Wir interessieren uns für eure Meinung. Bringt euch ein! Am besten über unsere-Kommentar-Box unten

Mit der neuen Regierung: weiter so wie gehabt?

  • Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
  • Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
  • Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
  • Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?

In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!