AG Wir haben genug -Als uns das Schreckenswort „Pandemie“ überfiel
Die Pandemie in den Gehirnen
Die Corona-Pandemie traf die Menschen in Europa erstaunlich unvorbereitet. Es herrschte auf magische Weise der Glaube vor, eine Epidemie oder Pandemie könne uns in Europa nicht treffen. Davon hörten wir aus weiter Ferne und wir glaubten, derlei würde nur in südlichen Ländern stattfinden. Und das obwohl nur ein paar Jahre zuvor auch uns die erschreckenden Nachrichten über Ebola, SARS und andere Epidemien in Afrika mit Hunderten von Toten innerhalb von kurzer Zeit erreicht haben und jeder wissen kann, dass ein Virus sich nicht um Ländergrenzen schert. Ja, niemand konnte hierzulande wirklich Erfahrung mit diesem Virus und seinen Varianten haben. Doch die Mixtur aus Nichtwissen und Sicherheitsbedürfnis schuf nun eine magische Haltung und erstreckte sich auch über das nur scheinbare Wissen von Corona und seinen Mutationen, deren genaue Auswirkungen auf den menschlichen Körper, über die Wege der Ausbreitung, die Ansteckungsgefahr, die Behandlungsmöglichkeiten… Auch wenn es in der Politik Pläne und Strategien über das Vorgehen gab.
Erinnert euch: niemand wusste wirklich etwas darüber. Auch viele Mediziner nicht genügend. Viren sind generell wenig erforscht. Doch aus Politik und Medien wurde EIN Weg aufgezeigt, der alle in Sicherheit wiegen wollte, sollte. Es gab immer Stimmen aus Fachkreisen, die auch anderes darüber sagten. Doch von denen hörten wir in der Öffentlichkeit kaum. Wir bekamen nur von wenigen Stimmen aus einem scheinbar eingeschworenen Kreis zu hören. Oft genug waren die von dort kommenden Empfehlungen widersprüchlich und ließen sich mit dem gesunden Menschenverstand schwer nachvollziehen.
Plötzlich fanden wir ein verändertes aufgeladenes Klima vor. Toleranz, die Freiheit der Meinung und Demokratie schienen nichtmehr wichtig. Menschen anderer Meinung wurden abfällig behandelt oder gar angefeindet. Doch hier ist an Meinungen das eine so richtig wie das andere – und so falsch wie das andere. Die einen folgen vielleicht sehr schnell und gläubig dem Mainstream und Politiker*innen, sowie öffentlich rechtlichen Medien und der Tagespresse (die sie kurz vorher oft noch als fragwürdig kritisiert haben). Die anderen halten sich eventuell zu starr an ihrem Skeptizismus fest. Wir sollten wissen: Niemand weiß es besser.
Als nach tastenden ersten Monaten der medizinische Apparat Ende 2020 angefahren wurde, setzte man in der Politik vor allem auf kaum getestete neue Impfstoffe namhafter Firmen, die man finanziell großzügig subventionierte. Scheinbar ist es vielen aus dem Gedächtnis entschwunden, dass unser Gesundheitsminister in Deutschland noch vor nicht allzu langer Zeit für die Pharmaindustrie gearbeitet hat. Zu fragen ist daher: Wie sollte er da nicht gern auf „Lösungen“ aus der Pharmaindustrie zurückgreifen? Strategien, die er zuvor beworben hat.
Ein verschlepptes Problem
Dass unser Gesundheitssystem krankt, ist durch die Corona-Epidemie in zwei Wellen deutlich geworden. Während man im ersten Jahr mit dem Gesundheitsschutz vor allem der Älteren nicht zurande kam, war es im zweiten Winter die Überlastung des Personals auf den Intensivstationen. Doch schon lange vor Corona herrschte ein unhaltbarer Zustand, der Kranke und Pflegebedürftige genauso wie das permanent überlastete Personal betraf. Wir haben eine verfehlte Gesundheitspolitik – nicht nur – in Deutschland. Durch die Privatisierung der meisten Krankenhäuser, die nun vor allem an ihren Gewinnen interessiert sind, haben viele Kliniken hierzulande nicht einmal mehr eine Notaufnahme. Des ungeachtet gibt es immer noch viele Menschen, die gern die Augen zumachen und unser Gesundheitssystem für das bestmögliche halten. Auch noch nachdem vielerorts mangels Betten und Personal mit Corona Infizierte mit „normalen“ Pflegeheimbewohner*innen und Kranken in ein und denselben Kliniken und Heimen „zusammengepfercht wurden“. (Karl Heinz Roth, Arzt und Aktivist, in: medico rundschreiben 01/22)
Wo doch die hohe Ansteckungsgefahr gerade in Krankenhäusern bekannt ist.
Kollateralschäden
Nicht wenige wundern sich derzeit. Bei der neuerlichen Debatte um Maskenpflicht oder nicht in verschiedenen Bundesländern sieht man, dass alle Maßnahmen auf Einschätzungen und deren Relativität beruhen nicht auf sicherem Wissen. Scheinbar treten bisher unter dem Teppich gehaltene Aspekte deutlicher zutage: vor allem die sozialen und psychischen Auswirkungen. Langsam beginnen sich Einsichten durchzusetzen, sogar in der Politik.
- Kinder und Jugendliche haben schon in jungem Alter mit Depressionen zu kämpfen (Es wird von jedem 3.Kind gesprochen).
Viele Kinder sind in ihrem Fortkommen abgehängt, weil sie auf das Internet-Lernen nicht zugreifen können. In vielen Familien nahm Gewalt zu wegen der Überlastung durch Schulschließungen und gleichzeitigem Home-Office u.ä. - Alte in Pflegeheimen, die das oft gar nichtmehr verstehen konnten, warteten umsonst auf ihre Angehörigen, weil sie nicht
besucht werden durften. Die Pflegebedürftigen konnten mancherorts nicht einmal mehr zusammen am Mittagstisch sitzen und vereinsamten zusehends abgeschottet in ihren Zimmern. Das ohnehin überlastete Personal begegnete ihnen nur
wenige Male am Tag und das auch nur vermummt. Vielfach erkrankten Mitarbeiter selbst oder kündigten und das verblieben Personal arbeitete weiter unter erhöhtem Stress.
Die Insel der Wenigen und die weite Welt da draußen
Auch die mit aller Überzeugung vorangebrachten Bekämpfungsstrategien (Impfungen, Masken, Desinfektionsmittel, Tests, Quarantäne…) auf nationaler oder europäischer Ebene nützen wenig bis gar nichts in Fällen einer Pandemie, zumal in einer Welt mit einem hohen Reiseverkehr und internationalen Lieferketten (Impfnationalismus). Doch in Deutschland wurde die 4. Impfrunde eingeläutet.
Gleichzeitig hocken die Pharmakonzerne fest auf ihren Patenten, wie es schon im Falle von Aids über Jahre hinweg geschehen ist. Wissen, Forschungsergebnisse, Herstellungslizenzen werden von diesen westlichen Groß-Konzernen zurückgehalten. Sie sind nicht bereit angesichts dem Ausgeliefertsein der vielen Menschen in den ärmeren Ländern, die sowieso aufgrund mangelhafter Ernährung oft einen schlechten Gesundheitszustand aufweisen, auf ihre Patentrechte auch nur für eine begrenzte Zeit zu verzichten.
Der Patentschutz ist ein Problem, das wir bei attac interessiert verfolgen. Nach international ausgehandelten und geltenden Regeln können Patentrechte in Epidemie-Zeiten ausgesetzt werden (bis Ende der Pandemie) auf Antrag betroffener Länder.
Die Regierungen von Südafrika und Indien haben im Frühjahr 2020 einen Antrag an die Welthandelsorganisation (WTO) gestellt, den Patentschutz für Corona-Impfstoffe auszusetzen. Mehr als 100Länder aus dem globalen Süden unterstützten diesen Antrag. Die Mehrheit der Industrienationen (USA + EU) lehnte den Antrag im Interesse der Pharmaindustrie ab. Auch der geschlossene Kompromiss schafft keine Gerechtigkeit. Diese Konzerne müssen ganz und gar nicht um ihr Überleben bangen. Und auch die Politik nimmt sie nicht in die Pflicht. Von Gesundheitsgerechtigkeit will hier niemand sprechen. Einsicht zeigt inzwischen der Konzern Moderna (USA), er setzt seine Patente aus. (dazu Anne Jung, in: medico rundschreiben 01/22)
In Südafrika z.B. wurden indessen die Townships der schwarzen Menschen polizeilich abgeriegelt, was die Ausbreitung der Pandemie beschleunigte durch die Enge, die dort herrscht, und mangelndem hygienischen Mindeststandart. Hunderte (oder Tausende?) von Toten wurden hingenommen. Die dortigen basishygienischen Initiativen – meist aus privatem Engagement mit Unterstützung von NGOs – kämpfen sowieso ums Überleben. Impfungen und Hygieneartikel sind schlicht zu teuer für die meisten Menschen. Es kommen keine Masken, Tests, Beatmungsgeräte, Sauerstoff, Desinfektionsmittel… aus Europa – und keine Impfstoffe.
Welche Werte sind uns wichtig? In den notwendigen Umbrüchen, die wir brauchen in der Welt, um die Erhitzung des Klimas und dessen Folgen, das Artensterben, das Abholzen von Wäldern, Hungerkatastrophen… zu stoppen, darf die irrationale ständig weitergetriebene Produktivität in der Wirtschaft, die Ausbeutung von Natur und Rohstoffen, von Tieren und Menschen nicht weiter an oberster Stelle stehen. Die Grundlagen des Lebens müssen erhalten bleiben.
Ein Gesundheitswesen, das zuallererst den Menschen dient, muss mit das Wichtigste sein.
Das Recht auf Gesundheit ist ein Menschenrecht.
Das Klima, Corona, der Russland-Krieg gegen die Ukraine… Einer Katastrophe folgt nonstopp die nächste. Jetzt „Weiter-so“?
- Weiter mit dem Stress und der Hektik, den menschenverachtenden Bedingungen in der Arbeitswelt?
- Weiter mit den wenigen Superreichen, die nicht mehr wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen können – und den vielen, die in die Armut abrutschen und den Armen, die immer ärmer werden?…
- Weiter mit der stetigen Erwärmung des Klimas – was uns ein erträgliches Leben verunmöglichen wird?
- Weiter mit dem Artensterben, das die Natur, von der wir leben, aus ihrem sensiblen Gleichgewicht bringt?
In unregelmäßigen aufeinanderfolgenden Beiträgen, wollen wir von der AG „Wir haben genug“ attac Stuttgart verschiedene Aspekte der aktuellen Problematik aufgreifen und zur Diskussion stellen. Beteiligt euch. Mischt euch ein. Eine andere Welt ist möglich!